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Nachdem die Mutter bei seiner Geburt gestorben ist, wird Seamon bzw. Simon von Rachel aufgezogen und später von ihr mit Arbeiten in der Küche beschäftigt. Die Oberste der Kammerfrauen des königlichen Hochhorstes ist jedoch nur selten mit dem inzwischen 14-jährigen "Mondkalb" zufrieden, scheint er doch nur zu träumen und allen Arbeiten aus dem Weg zu gehen. Kein Wunder, dass Simon den "Drachen" Rachel meidet und sich bei dem Gelehrten Morgenes weit wohler fühlt. Dem gelingt es dann sogar, Simon als seinen Lehrling aufzunehmen und ihm die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens beizubringen. Doch nach dem Tod des Hochkönigs von Osten Ard und der Übernahme der Herrschaft durch dessen Sohn Elias wird Simons beschauliches Leben schlagartig aus der Bahn geworfen. So muss Morgenes sein Leben opfern, um Simon eine Flucht zu ermöglichen, die sich alsbald zur Odyssee mit höchst gefährlichen Abenteuern auswächst. Dabei wird immer augenscheinlicher, dass Simon eine Bedeutung zuwächst, die am Ende das Schicksal ganz Osten Ards bestimmt.
Der erste Band der in vier Büchern vorgelegten Fantasy-Trilogie "Das Geheimnis der großen Schwerter" von Tad Williams ist im Original 1988, auf Deutsch 1991 erschienen. Klett-Cotta hat nunmehr als überarbeitete Neuausgabe die ersten beiden Bände im Frühjahr 2010 herausgegeben und den mit ca. 1650 Seiten umfassenden dritten Teil wie schon die Herausgeber zuvor ebenfalls in zwei Büchern bis zum Frühjahr 2011 nachgereicht.
Für den Rezensenten so oder so eine Erstbegegnung, weist dieses Frühwerk von Tad Williams bereits alle seine Stärken auf, was das Kreieren und detaillierte Ausmalen einer phantastischen Welt angeht. Wie bei Tolkiens "Herrn der Ringe" finden sich hier neben den Menschen auch noch verschiedene andere intelligente Lebensformen - allerdings unter gänzlich anderen Vorzeichen.
So bildet z.B. kein Hobbit, sondern der Küchenjunge Simon die Leit- und Identifikationsfigur, wiewohl er auf seiner Flucht schon bald einen allerdings nur der Größe nach hobbitähnlichen Freund gewinnt. Der Qanuc bzw. Troll Bibanik, der wie Simon Schüler eines Gelehrten war, ist in seinen Kenntnissen weit fortgeschrittener als Simon. Das Elfenvolk, hier "Sithi" genannt, wird bei Williams noch unnahbarer und die Seite des Bösen in vielen Figuren weit dämonischer als bei Tolkien gezeichnet.
Die aus geschichtlich grauer Vorzeit in die Gegenwart wirkenden Geschehnisse erklären sich nicht zuletzt in den Bruchstücken einiger Schriftzeugnisse. Dazu passend bringt der Autor mit dem "Ädonismus" eine Schriftreligion gegen das "Heidentum" in Stellung, die den Erlösungsvorstellungen (und Abgrenzungen) eines vorlutherischen Christentums im Mittelalter sehr ähnlich sind. Diese Idee hat durchaus Charme, insbesondere wenn damit ein konservativer und Standesdünkel behafteter Klerus vorgeführt wird - dennoch wirkt sie als Strukturelement wie ein anachronistisch platter, nicht wirklich zu Ende gedachter Fremdkörper, der offenbar lediglich einige Erläuterungen sich sozusagen selbst erklärend einsparen helfen sollte. Aber um sich ernsthaft darüber zu ärgern, muss man humorlos sein und vermutlich auch mehr Ahnung von Religion(en) und ihre jeweilige Theologie haben als wohl den meisten Lesern dieses Genres zugetraut wird.
Für das "Heidentum" und die dann auch "real" auftretenden Schrecken bezog Williams wiederum seine mythologischen Anleihen zumeist bei Kelten und Germanen, wiewohl einige Bezeichnungen bzw. Namen dem Japanischen entlehnt sind.
Was Stringenz und Eleganz des sprachlichen und mythologischen Überbaus angeht, wird Tolkiens Meisterschaft also auch durch dieses Werk nicht übertroffen.
Doch im Gegensatz zu den vergleichsweise märchenhaft zweidimensionalen Figuren Tolkiens suchte Williams seinen Charakteren weit mehr Fleisch und damit auch mehr wandlungsfähige Authentizität zu geben.
In den Folgebänden werden zudem noch Charaktere und Vertreter anderer Völker und Wesen vorgestellt, denen er jeweils eine sehr eigene Ausstrahlung an Charme oder auch Grauen zu verleihen vermochte - genauso wie last, but not least den drei magischen Schwertern, auf die der Titel dieser Tri- bzw. Tetralogie sich bezieht.
Bis auf den zweiten Band, der einige Längen aufweist, entfaltet Williams eine durchgängig mitreißende Dramaturgie, die einen hundertseitenlang selbst durch die Öde schneebedeckter Berge bis zum grandiosen Finale zu tragen vermag.
Für Liebhaber dicker Fantasy-Schmöker also in jedem Fall ein beglückendes Muss!
Weitere Besprechungen zu Werken von Tad Williams siehe:
Bobby Dollar:
Tad Williams: Die dunklen Gassen des Himmels Bd.1 (2013)
Kurzhinweis: Tad Williams: Happy Hour in der Hölle Bd.2 (2014)
Kurzhinweis: Tad Williams: Spät dran am Jüngsten Tag Bd.3 (2015)
Osten Ard (Prequel):
Tad Williams: Brüder des Windes (2022)
Osten Ard:
Tad Williams: Das Geheimnis der großen Schwerter Bd.1-4 (2010-2011)
Tad Williams: Das Herz der verlorenen Dinge (2017)
Osten Ard 1:
Tad Williams: Die Hexenholzkrone 1+2 (2017)
Osten Ard 2:
Tad Williams: Das Reich der Grasländer 1+2 (2020)
Osten Ard 3:
Tad Williams: Im dunklen Tal 1+2 (2023)
Otherland:
Tad Williams: Stadt der goldenen Schatten Bd.1 (1998)
Tad Williams: Otherland Bd.1-4 (1998-2002)
Shadow March:
Tad Williams: Die Grenze Bd.1 (2005)
Tad Williams: Das Spiel Bd.2 (2007)
Tad Williams: Das Dämmerung Bd.3 (2010)
Tad Williams: Das Herz Bd.4 (2011)
Tinkerfarm:
Tad Williams & Deborah Beal: Die Drachen der Tinkerfarm Bd.1 (2009)
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