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Intellegentia: 1.Vorstellung ... 2.a)Einsicht ... b)Kunstverstand ...
c)Erkenntisvermögen, Verstand - soviel als Einführung zur lateinischen
Herkunft des Wortes Intelligenz (s. Langenscheidt Wörterbuch).
Motiviert durch den Erfolg seines Buches DEM DENKEN AUF DER SPUR gibt
der Verlag sich und Howard Gardner die Ehre, nun auch den Vorläufer
jenes Buches der deutschsprachigen Leserschaft vorzustellen, das sich der
komplexen interdisziplinären "Fakultät" der Kognitionswissenschaft
angenommen hatte. Wenn es der Kognitionswissensschaft um ein höchstmögliches
Maß an Erkenntnis geht, umfaßt ABSCHIED VOM I.Q. mit seiner
RAHMENTHEORIE DER VIELFACHEN INTELLIGENZEN das weite Feld der noch auszubauenden
Grundlagenforschung, aus der eben nicht nur die Kognitionswissenschaft,
sondern z.B. auch allgemeinbildende Schulen, Schulen für Musik, Tanz,
bildende Kunst usw. neue, gemeinsame Ansätze begründen könnten.
Nicht umsonst hat der in Harvard und Boston Psychologie lehrende H.G.
für dieses Buch den NATIONAL PSYCHOLOGY AWARD FOR EXCELLENCE IN THE
MEDIA erhalten. In geradezu verblüffender und bewundernswerter Klarheit
vermochte er darin das Netzwerk von Ausgangspunkten, Widersprüchen
und Zusammenhängen vieler verschiedener Erkenntnisse vieler verschiedener
Wissenschaften dem interessierten Laien vor Augen zu führen.
Ein 12 Jahre alter Puluwat-Knabe von den Karolineninseln wird von den
Ältesten seines Stammes dazu auserkoren, ein Meistersegler zu werden.
Ein 15-jähriger Iraner widmet sich der Aufgabe, den gesamten Koran
auswendig zu lernen und beherrscht als Perser die arabische Sprache. Eine
14-jährige aus Paris hat auf einem Computer zu programieren gelernt
und fängt nun an, mit Hilfe eines Synthesizers zu komponieren.
"Alle diese Jugendlichen erwerben einen hohen Grad an Kompetenz
auf einem schwierigen Gebiet und weisen intelligentes Verhalten auf, wie
auch immer man diesen Begriff definieren will. Und doch muß man zugeben,
daß gegenwärtige Methoden der Intelligenzmessung nicht fein
genug sind, um die Fähigkeit oder Leistung eines Menschen einzuschätzen,
nach den Sternen zu segeln, eine fremde Sprache zu lernen oder mit Hilfe
eines Computers Musik zu komponieren. (..) Nur wenn wir unsere Perspektive
erweitern und unsere Sicht des Intellekts neu formulieren, können
wir angemessenere Methoden entwickeln, Intellekt zu bewerten, und effektivere
Methoden, ihn auszubilden."
Von der Suzuki Lehrmethode des Violinspiels bis zur LOGO-Methode, die
Grundzüge des Programierens zu vermitteln, ist einiges entwickelt
worden, "um schon kleine Kinder zu besonderen Leistungen anzuspornen."
Man würde H.G. mißverstehen, meinte man nun, er wolle hier
vom Ehrgeiz zerfressenen Eltern ein weiteres Folterinstrumentarium in die Hände
geben. Im Gegenteil, es geht H.G. darum, möglichst alle vorhandenen
Anlagen der Kinder als wertvoll zu erkennen, um sie dann im besten elterlichen
Sinne zu fördern.
Beginnend mit dem Hintergrund, u.a. der historischen Dimension der
Idee multipler Intelligenzen, deren ersten Ansätze gut 2000 Jahre
zurückreichen und mal von drei, mal von sieben unterschiedlichen Bausteinen
menschlicher Intelligenz ausgingen, versucht H.G. nun den NACHWEIS spezieller
Intelligenzen. Dabei spielt er die grundverschiedenen Blickwinkel von "Igeln"
und "Füchsen", d.h. jene, die spezielle Intelligenzen an einer
bestimmten Stelle des Gehirnes vermuten nicht gegen jene aus, die der Meinung
sind, daß die wesentlichen geistigen Funktionen vom Gehirn als Ganzes
wahrgenommen werden. Vielmehr stellt er sie so objektiv wie möglich
gegenüber oder stellt überraschende Verbindungen zwischen beiden
Ansätzen her. Überhaupt ist das eines der wesentlichen Merkmale
seines Schreibstiles, daß er jeden Ansatz ohne versteckte Suggestion
zu würdigen weiß, auch wenn er ihm im Einzelnen nicht zustimmen
mag. Das läßt dem Leser genügend Raum, sich eine eigene
Meinung zu bilden.
"In erster Linie geht es mir um die Ausweitung der Themen Kognitions- und Entwicklungspsychologie. (..) Diese Ausweitung zielt zum einen auf
die biologischen und evolutionären Wurzeln der Kognition, zum anderen
auf die kulturellen Varianten kognitiver Kompetenzen. Nach meiner Meinung
sollten Exkursionen in die 'Labors' der Gehirnforscher und in das 'Feld'
einer exotischen Kultur zum Stundenplan aller gehören, die sich für
Kognition und Entwicklung interessieren."
Seine offensichtliche Lust, Dinge zu isolieren, um sie dann wieder
in eine umso engere Verbindung zu bringen, zeigt sich allein schon an den
8 Überschriften seines Hauptkapitels, in dem es um linguistische,
musikalische, logisch-mathematische, räumliche, körperlich-kinästhetische
und personale Intelligenz geht. Dazu gehört auch eine Kritik der Theorie
multipler Intelligenzen sowie eine Auseinandersetzung mit der Sozialisation
menschlicher Intelligenzen durch Symbole. Im dritten Teil seines Buches
zieht er ein zwar spekulatives, nichtsdestrotz fesselndes Resumée
anhand der sich ihm erschließenden Anwendungsmöglichkeiten seines
Ansatzes und wie man künftig mit Intelligenztests intelligenterweise
umgehen sollte.
Neben den direkten pädagogischen Implikationen seiner Theorie
und der möglichen Inspiration pädagogisch ausgerichteter Anthropologen
wäre auch jedem ernsthaft an der "Förderung von Menschen"
interessiertem Politiker die Zeit zu gönnen sich mit diesem Buch zu
befassen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Howard Gardner siehe:
Howard Gardner: Dem Denken auf der Spur (1989)
Howard Gardner: Abschied vom I. Q. (1991)
Howard Gardner: Der ungeschulte Kopf (1993)
Howard Gardner: Intelligenzen (2002)