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"Religion ist ein Thema. Und wird es auch in Zukunft bleiben.(..)
Denn schon die kommenden Jahrzehnte werden verstärkt von geistigen
Kräften außerhalb unseres abendländischen Horizonts mitgeprägt
sein"
Von dieser These ausgehend stellt sich für den in Wien lebenden
Kulturwissenschaftler Gehard Schweizer eindringlich die Frage, ob eine
stabilere Zukunft für das nächste Jahrhundert nicht auch wesentlich
davon abhängt, daß die großen Religionsgemeinschaften
in Frieden miteinander leben. Zum Verständnis untereinander ist zuallerst Kenntnis voneinander nötig.
Der gewählte Untertitel WELTRELIGIONEN ZWISCHEN TOLERANZ UND FANATISMUS
darf aber keine Omnipotenzerwartungen auslösen. Dem nicht theologisch
geschulten G.S. unterliefen ungewollte Widersprüchlichkeiten, wenn
er z.B. den Uraltfehler, die Pharisäer als ganze Gruppe und Partei
für den Tod Jesu verantwortlich zu machen, ein weiteres Mal abschreibt.
Das macht der Autor aber wett, indem er persönliche Erlebnisse und
Gespräche "vor Ort" in seine Diskussion miteinbezieht und sich im
Großen und Ganzen bei unterschiedlicher Quellenlage doch als sehr
kenntnisreich erweist und sauber zitiert.
Die "Intoleranzen" sind demnach keineswegs gleichwertig einzuschätzen.
Zumeist sind sie machtpolitisch begründet und graduell sehr unterschiedlich
ausgelebt worden. Während z.B. die Christen lange Zeit in Kombination
mit Kolonisierungsbestrebungen dazu neigten, Andersgläubige vor die
Wahl Tod oder Taufe zu stellen, bewies der Islam relativ hohe Toleranz,
indem er allen Andersgläubigen, die wenigstens dem Ein-Gott-Glauben
anhingen, Schutz gewährte. Die Folge davon war eine Blüte islamisch
regierter Länder, die dem christlichen Abendland über Jahrhunderte
hinweg in allen Wissenschaften weit überlegen waren, da sie den Austausch
zwischen den Religionen nicht nur duldeten, sondern sogar förderten.
Ein Jude oder ein Christ konnte in der Türkei des Mittelalters durchaus
einen Lehrstuhl innehaben und wurde zu freien Diskussionen mit den jeweiligen
Herrschern eingeladen - in Deutschland war das umgekehrt bis ins 19.Jhdt
nicht möglich gewesen.
Schweizer belegt einmal mehr, daß man genau unterscheiden muß
zwischen eigentlichen Glaubenskämpfen, die sich immer dann ereignen,
wenn der Bestand einer Religion an sich gefährdet ist, und solchen
Konflikten und Kriegen, bei denen sich politische und soziale Spannungen
lediglich im Namen der Religion entladen. Das führt er besonders deutlich am Beispiel der sehr toleranten Auffassung fernöstlicher Religionen aus: Hindus haben in religiösen
Fragen überhaupt keine Berührungsängste, sind aber durch
die Kolonialzeiten derart "gebrannt", daß sie in bestimmten
Gegenden u.a. keine christlichen Missionare mehr dulden.
Der größte Feind aller Religionen ist auch nicht der Atheismus.
Es "rücken religiös Gläubige mit ethisch motivierten
Atheisten sogar ungewollt zusammen: Mögen sie auch eine unterschiedliche Vorstellung von Transzendenz und Moral haben, beide Seiten verfügen über Transzendenz und Moral".
G.S. hebt mit seinem Werk in anschaulicher Weise den Blick über
den Tellerrand und das ebenfalls daraus entnommene nachfolgende Zitat Gandhis
kann nicht nur auf die Weltreligionen im Allgemeinen bezogen, sondern sollte
auch ganz speziell innerhalb den christlichen Kirchen verstanden werden,
denn die größte Niederlage vor der eigenen Haustür sind
resignierte Karteileichen, die sich zurecht nicht verstanden wissen ...
"Was der Augenblick fordert, ist nicht eine Einheitsreligion, sondern
gegenseitige Achtung und Toleranz der Gläubigen der verschiedenen
Religionen. Wir erstreben keine tote Gleichmacherei, sondern Einheit in
der Verschiedenheit. (..) Die Seele der Religionen ist eine, aber sie ist
in eine Vielfalt von Formen eingeschlossen."
Weitere Besprechungen zu Werken von Gerhard Schweizer siehe:
Gerhard Schweizer: Ungläubig sind immer die Anderen (1990)
Gerhard Schweizer: Indien (1995)
Gerhard Schweizer: Syrien (1998)