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Die Fabrikarbeiterin Clara Bloos und die einem alten Adelshause entstammende Margarethe von Zug verbindet eine für beide eigentlich "unmögliche" Liebe zu Johann Nietnagel, der eine gutbürgerliche Karriere zugunsten der Dichtkunst und seinem nachhaltigen Bekenntnis zum Sozialismus aufgegeben hat. Bei aller Gegensätzlichkeit ihrer beider Herkunft gibt diese Liebe dem blanken Überlebenswillen Claras wie auch Margarethes Abwehr starrer Konventionen wichtige Impulse für bis dahin undenkbare Lebensentscheidungen.
Nach In Berlin vielleicht und Berlin, Bülowstr. 80a setzt Gabriele Beyerlein kurz vor ihrem 60. Geburtstag mit "Es war in Berlin" den Schlussstein zu ihrer Trilogie um Lebens- und Entwicklungsgeschichten von heranwachsenden Frauen im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Hatten die Vorgängerbände jeweils nur eine Frau und ihre Stellung in der damaligen Berliner Gesellschaft im Blickpunkt, suchte die für den ersten Roman dieser Trilogie mit dem Heinrich-Wolgast-Preis ausgezeichnete Autorin diesmal die direkte Konfrontation zweier Handlungsträgerinnen mit diametral zueinander stehenden Lebenssystemen. Damit verbunden ist die Darstellung eines über das persönliche Schicksal hinausgehenden Aufbruchs, der die Unterschiedlichkeit von Gesellschaftsklassen und Geschlechtern zu überwinden beginnt, sich dabei aber nicht selten in ideologischen Grabenkämpfen verzettelt. So scheint es nahezu unmöglich, dass bürgerliche Frauenvereine gemeinsam mit sozialistischen Proletarierinnen gegen patriarchalisch verordnete Ungerechtigkeiten angehen.
Die beiden Heldinnen sind von Beyerlein treffend und mit authentischer Sprachregelung in Szene gesetzt worden. Während Clara samt ihren Geschwistern von Anfang an um Leib und Leben zu bangen hat, muss Margarethe als Angehörige der Oberschicht erst durch ihr Liebesbekenntnis zu dem Dichter Nietnagel sehr viele Privilegien aufgeben und einen Fall ins Bodenlose fürchten.
Beide sich kreuzenden Handlungsstränge vermögen denn auch bis zur letzten Seite zu fesseln und lassen einen die wenigen, allzu deklamatorisch nachgebeteten SPD-Programme einer ansonsten ebenfalls durchaus überzeugenden Nachbarin Claras vernachlässigen. Denn davon abgesehen hat die Autorin ihre im Anhang reichlich aufgeführten Quellen durchweg geschmeidig und ohne Brüche einzubauen gewusst.
Somit bietet dieses Buch wie auch die Trilogie insgesamt nicht nur für jugendliche Leser einen so fundierten wie faszinierenden Nachhall dessen, was nicht mehr von eigenen Großeltern erzählt werden kann.
Weitere Besprechungen zu Werken von Gabriele Beyerlein siehe:
Gabriele Beyerlein: Wie ein Falke im Wind (1993)
Gabriele Beyerlein: In Berlin vielleicht (Berlin-Trilogie 1/3; 2005)
Gabriele Beyerlein: Berlin, Bülowstr. 80a (Berlin-Trilogie 2/3; 2007)
Gabriele Beyerlein: Es war in Berlin (Berlin-Trilogie 3/3; 2009)
Gabriele Beyerlein: In die Steinzeit und zurück (Lektüre + Materialienheft; 2012)
Gabriele Beyerlein: Ins Mittelalter und zurück (Lektüre + Materialienheft; 2014)
Gabriele Beyerlein: Aja oder Alles ganz anders (2020)