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"'Ich bin kein Mann aus Fleisch und Blut', hauchte Papirnik mit weinbeflaggtem Atem. Er zog sich aus. Lola konnte es nicht fassen. Seine Brust füllten Bündel aus Buchseiten. (..) Seine Wirbelsäule war die Rückenleiste eines Papierblocks."
PAPIRNIK, so heißt
auch die Titelgeschichte von insgesamt 10 Stories des Wiener Autoren Doron
Rabinovici. Der "vielseitige" Papirnik ist gleichsam die Ouvertüre
für ein Feuerwerk bestechender Einfälle, die einen das schmale
Prosabändchen wie eine liebgewordene Gedichtsammlung immer wieder
durchfleddern lassen. Sämtliche ProtagonistInnen sind Juden in Wien,
die sich mit unverhohlenem Antisemitismus und dem eigenen zwiespältigen
Befinden als Shoa-Nachgeborene auseinanderzusetzen zu haben. (Außer
Papirnik, der zum Sinnbild aller im III.Reich verbrannten Bücher wird
und Lola, die diesen Verlust nun mit ihrer Erinnerung wieder auszugleichen
sucht. Beide bilden als Prolog und Epilog buchstäblich die historisch
literarkritische Klammer.)
Jedes dieser Kurzprosa-Kleinode ist angefüllt mit Sätzen
zum Verlieben (z.B. in NOÉMI: "So beließen sie es bei ihrer
Doppelzüngigkeit und warfen sich aufs Bett, aus dem alte Gefühle
aufstaubten.") und verfügt nicht nur über ein oder zwei Schlußpointen,
sondern gleich über drei oder vier. NOÉMIs Schlußsatz
mündet zudem wie bei den augentäuschenden Bildern von Escher
in den Anfangssatz.
In der Form von unwiderstehlicher Eleganz verhaken
sich die ironischen Sentenzen im Hals, und unsereins (insbesondere ohne
Verfolgungserfahrungen im biographischen Gepäck) schaut mit recht
wacklig gewordenen Beinen in so manch unerwarteten Abgrund, der im Nachhinein
doch gar nicht so unerwartet hätte sein dürfen. Dabei handeln
die meisten Geschichten vordergründig von ganz Alltäglichem wie
sich verlieben und verlassen werden, den Wunsch eine Bank um ihr Geld zu
erleichtern oder von dem nur allzuleicht tödlich endenden Versuch,
professoraler Gewohnheit Widerstand leisten zu wollen. Eindeutiger sind
die Parabeln von den zwei Blinden, die ihren Mörder rechtzeitig zu
richten wissen und jene von den exekutierenden Soldaten im Theater, die
dann doch nicht mit Platzpatronen geschossen haben.
Und jede einzelne Story ist mehr als preisverdächtig!
Weitere Besprechungen zu Werken von Doron Rabinovici siehe:
Doron Rabinovici: Papirnik (1994)
Doron Rabinovici: Suche nach M. (1997)
Doron Rabinovici: Ohnehin (2004)