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Johann Georg Tinius wurde im Jahre 1813 zweier Morde angeklagt, die er begangen habe, um seiner Bücherleidenschaft frönen zu können. Nach einem vieljährigen Indizienprozess wird Tinius zu einer langen Haft verurteilt. Im Jahr 2005 soll nun endlich seine Unschuld bewiesen werden ...
Nun denn, nach neun Jahren und wenig Wirbel um L. auf ein Neues mit dem sich selbst als Bibliomanen verklapptextenden Autor Detlef Opitz. In der Rolle eines selbstgefällig anstößigen Schwadroneurs gelingt es ihm diesmal, Interesse für eine bereits x-fach kommentierte Leiche zu wecken.
Die Literatur über die Affäre Tinius ist so zahlreich wie armselig und hilflos. Wollte man eine Bibliographie erstellen, müßte man ca. 300 Einträge veranschlagen, vielleicht auch mehr. Darunter zwei oder drei höchst lächerliche Romane ...
... die allesamt aus der Verurteilung auch auf die Schuld des Angeklagten Tinius geschlossen hätten - trotz dessen bis zuletzt aufrechterhaltenen gegenteiligen Beteuerungen. Er, Detlev Opitz aber setzt nun mit dem 301. Werk neue Maßstäbe, indem er zu beweisen sucht, was nach weit über 150 Jahren nicht mehr zu beweisen ist. Einerseits scheint tatsächlich Einiges gegen die vorgetragenen Zeitabläufe und die für solch einen Prozess notwendige Unvoreingenommenheit der Zeugen zu sprechen - aber letztlich bewegt sich Opitz hier auf einem Terrain, dass er in seinem Roman Klio, ein Wirbel um L. doch so heftig gegeißelt hat, nämlich der biblischen resp. bibliomanischen Exegese, d.h. der Interpretation eines parteiischen Betrachters - und das mag vielleicht noch einer Wahrheits- aber gewiss nicht der Wirklichkeitsfindung dienen ...
Aha - also Satire! Natürlich! Mit Lesebändchen, aufwendig gesetzt in Zweispaltenkolumnen und zwei Typographien - warum das Ganze eigentlich nicht auch noch in Leinenbindung? - dann allerliebst: auch in den auf die Gegenwart bezogenen Passagen Vorvorigesjahrhundertworthülsen, versetzt mit gar manierlich französisch-lateinisch-lutherischen Füllseln in ansonsten - aber klar doch - konsequent alter Rechtschreibung, allerdings - so viel Spaß muss sein - noch kreativ ergänzt um den (spanischen?!) Zierrat auf den Kopf gestellter Frage- und Ausrufezeichen, die gleich Anführungen eine Sentenz beginnen, an ihrem Ende den Satz jedoch wieder nach üblicher Manier abschließen.
Und vorweg wird in diesem Kolportageroman kolportiert - denn mehr als Gerüchtewert hat dieses zusammengesucht schriftliche Aktenkauderwelsch eben nicht mehr -, dass Opitz dafür gut zehn Jahre lang recherchierte und damit zwischenzeitlich seinen einstigen Verleger (hier als Anagramm mit "Drahti Seglerd" unschwer kenntlich gemacht) zum resignierten Schweigen gebracht hat:
¿Verstehe, ach, einer die Westdeutschen wieder --
Um dieses Werk zu ignorieren, ist das verschenkte Talent des Autors zu groß. Detlef Opitz hat Witz und Sinn fürs Absurde, was er beides - samt seinem offenbar gar nicht so kleinen Ego - immer wieder absatzweise brillant in Szene zu setzen vermag. Und es gelingen ihm über längere Strecken hinweg anschauliche, jedoch wenig überraschende Milieuschilderungen im Possenstil. Aber hat er's nicht auch 'ne Nummer kleiner?
Als Ausgangspunkt für ein erzählerisches Gefüge wie Der Buchtrinker von Klaas Huizing ist der Fall Tinius wohl immer wieder gut, aber dieses wie in Marmor gemeißelt vorgestellte Werk baut eine Fallhöhe auf, von der herab dessen Essenz dann am Ende doch nur gleich einem armseligen Rinnsal ins schnelle Vergessen stürzt - denn, wie gesagt, außer der bodenlos dummen Verteidigungsstrategie des Johann Georg Tinius und Opitzens eingestreuten kleinen Selbstbeweihräucherungen - seine Selbstironie sucht eher Hemingway'sches Machogehabe abzukupfern, als über sich selbst zu lachen - ist natürlich auch hier nichts Neues bewiesen.
Immerhin das noch: Sympathisch die Klarnamen-Nennung des "göttlichen" Herbert Pfeiffer (www.herbertpfeiffer.de) auf Seite 215 und das Zitieren seiner Palindrome, jener kurzweilig wie beeindruckend vor- und rückwärts zu lesenden Satzgebilde, die hier ebenfalls ein Lebenswerk streifen, das aber doch um einiges weniger Platz beansprucht und sich auch keinesfalls so bierernst nimmt.
Mag sein. Mag sein, dass der Rezensent genauso treudeutsch abwertet, wie Opitz sein Thema treudeutsch aberwitzig aufgegründelt hat.
L'art pour l'art Verfechter werden das Buch über die Maßen lieben und verteidigen, alle anderen finden inhaltlich Gewichtigeres woanders.
Weitere Besprechungen zu Werken von Detlef Opitz siehe:
Detlef Opitz: Klio, ein Wirbel um L. (1996)
Detlef Opitz: Der Büchermörder (2005)