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Madelaine hat es nicht leicht. Ihr 14-jähriger Sohn Constantin ist das genaue Gegenteil von ihr, ihr Mann hat sie vor drei Monaten wegen einer anderen verlassen, und als Bibliothekarin an einer Schule mit nervtötenden Schülern und einem nicht minder nervtötenden Schulleiter kommt nur noch selten Lebensfreude auf. Und seit Tagen dieser anhaltende, alles durchdringende Geruch nach Maiglöckchen in der Wohnung. Madelaine glaubt eigentlich an nichts und niemanden mehr, schon gar nicht an die Existenz irgendwelcher Fabelwesen, aber nun müssen sie und Constantin auch noch einen 22 Zentimeter kleinen Elfen ertragen. Zwar sehr charmant, verursacht er in seiner respektlosen Unberechenbarkeit immer neue Probleme. Inbesondere einen Wunsch laut auszusprechen, kann jetzt gefährlich, ja sogar lebensgefährlich sein, denn er könnte in Erfüllung gehen.
Die Autorin Marie-Aude Murail hat Philosophie studiert, zählt in Frankreich zu den beliebtesten zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchautorinnen und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. Dass sie mit Witz und Verve zu schreiben vermag, beweist auch das vorliegende Buch 'Von wegen, Elfen gibt es nicht!' - doch ob es sich hierbei um ein Kinderbuch handelt, das laut Verlag bereits für 10-jährige geeignet ist, scheint mehr als zweifelhaft. Nichts gegen schwarzen Humor wie ihn seinerzeit Roald Dahl mit seiner 'Mathilda' zelebrierte und damit den begeisterten Kindern eine vorzügliche Einführung in die Möglichkeiten der Ironie gegeben hat. Doch wie die erwachsene (!) Hauptidentifikationsfigur Madelaine z.B. dem Hassobjekt Schulleiter 'zaubergemäß' unter Aufbietung letzter Hemmschwellen von einem Photo nicht den Kopf, sondern mit entsprechenden Fraktur-Folgen 'nur' den Fuß abschneidet, ist kein konstruktives Sichannähern an kindliches Verhalten - diese Art aus der Rolle zu fallen dürfte für die meisten Kinder schlicht beängstigend sein und ist nur mit einer bereits erworbenen Fähigkeit distanzierten um-die-Ecke-Denkens verständlich.
Lesegeübten Jugendlichen bietet dieses Buch hingegen durchaus eine Menge Lesespaß. Die rein realistische Weltsicht sowie das sich-weg-Träumen in Poesie und Phantasie werden gleichermaßen gegen den Strich gebürstet und auf den Kopf gestellt. Sichtbar gewordene (Un-)Geister stehen nicht nur aktuellen, gekonnt vorgeführten (Geschlechter-)Rollenklischees gegenüber, sondern nicht zuletzt auch der Kritik am Untergang französischer Sprach- und Lesekultur. Wie die so taffe Madelaine zum Happy-End schließlich beglückt in einen neuen Ehehafen einläuft, würde zwar mancher Feministin dann allzu sehr nach Hera Lindt schmecken - aber komisch ist es dennoch.
Weitere Besprechungen zu Werken von Marie-Aude Murail siehe:
Marie-Aude Murail: Von wegen, Elfen gibt es nicht! (2002)
Marie-Aude Murail: Simpel (2007)
Marie-Aude Murail: Über kurz oder lang (2010)
Marie-Aude Murail: Vielleicht sogar wir alle (2012)
Marie-Aude Murail: Blutsverdacht (2012)
Marie-Aude Murail: 3000 Arten Ich liebe dich zu sagen (2015)