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Siegfried Lenz feierte Mitte März 1996 seinen 70. Geburtstag. Das
findet seinen Niederschlag in einer voluminösen Werkausgabe sowie
in LUDMILLA, einem Band mit sechs neuen Erzählungen.
Gleich mit der Titelgeschichte führt Lenz einen ins Bockshorn.
Altmeisterliche, bis an die Grenzen des Kitsches gehende Naturbetrachtungen
über Sibirien (!) korrespondieren mit der Deutschenfeindlichkeit dort
und der Ausländerfeindlichkeit hier, um den Leser zuletzt mit einem
Nasenring auf den poetisch überhöhten Boden der Tatsachen zu
zwingen. Einer "Atemübung" unter kontaktgestörten Eheleuten
folgt eine kleine, vieldeutige Hommage an den Entertainer Reich-Ranicki,
dem er im Übrigen auch mit der Wahl seiner durchweg akademisch vorgebildeten
Hauptpersonen(ein Doktor, zwei, wenn nicht drei Professoren) Rechnung trägt:
Ein unscheinbarer Meereskundler wird zum Retter in der Not, weil sein Vortrag
über die vielfältigen Bewohner eines Seeaquariums scheinbar mühelos
jedes philologische oder gar philosophische Seminar zu ersetzen vermag.
"Panik" überschreibt die Geschichte eines jungen Mannes am
falschen Ort (obwohl dieser Ort jetzt unter höchstem Ehrenschutz steht),
und "Die Bewerbung" weiß das Los überqualifizierter Geisteswissenschaftler
zu schildern. Den Abschluß bildet "Der Abstecher". In dieser
Geschichte entpuppt sich ein uralter Orden als echt, was bei dem Nachfahren
des einstigen Ordensträgers allerdings gemischte Gefühle auslöst.
Allen Geschichten gemeinsam ist ein konsequente Linienführung,
die am Ende mindestens eine überraschende Pointe bereithält.
Dabei umrunden und treffen sie letztlich stets den tragikomischen Kern
einer Wahrheit, die über den kurzen Lacher hinausweist.
Weitere Besprechungen zu Werken von Siegfried Lenz siehe:
Siegfried Lenz: Ludmilla (1996)
Siegfried Lenz: Arnes Nachlaß (1999)