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Antje Vollmer

Heißer Frieden

Über Gewalt, Macht und das Geheimnis der Zivilisation
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1995, 208 S., ISBN 3-462-02417-5, >>> Amazon
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Den launig professoralen, zuweilen aber sehr prägnanten Geschichtsbetrachtungen Joschka Fischers und dem Kassandra-Pamphlet Jutta Ditfurths über die Gleichheit folgt nun Antje Vollmers "HEISSER FRIEDEN". Sie fragt zuerst nach den Hintergründen von Gewalt und weist dabei als gelernte Theologin den religiösen Kulten, nicht zuletzt den Opferkulten, eine herausragende Bedeutung zur Friedenssicherung zu. Gewalt wurde einst als Hereinbrechen des Chaos und der Opferkult als "Meister der Furcht" erachtet. "Der Kultus ist immer die zweite Schöpfung, die satt ist von der Erfahrung des Unheils und der Tragödien der Menschengeschichte. Der Beginn dieser kultischen Friedensordnung ist die Ersetzung der Menschenopfer durch Tieropfer." Von den Menschenopfern zu den Tieropfern, von Abraham zu den Gesetzen Moses, von Moses zu Jesus, von Jesus zu Martin Luther schlägt sie einen recht überzeugenden, weil plausiblen Bogen über das, was den jeweiligen Krisen geantwortet wurde. "Kultus und Religion haben von alters her die Aufgabe, Gewalt zu bändigen und von der Gesellschaft fernzuhalten. Niemand hat darüber mehr und Erhellenderes geschrieben als der Ethnologe und Kulturphilosoph René Girard", der zu dem Schluß kommt: "Es gibt keine Gesellschaft ohne Religion, weil ohne Religion keine Gesellschaft möglich wäre." Wer nun aber ein nachdrückliches, an uns alle gerichtetes Credo für das Wiederbedenken von religiöser Herkunft oder gar das reformerische Mit- und Neugestalten alter Religionsgemeinschaften erwartet (oder befürchtet), wird enttäuscht. Die Politikerin A.V. weiß sehr wohl, daß sie damit in ihren Reihen nur wenig Zustimmung fände. Also fragt sie als Nächstes, ob es einen Pazifismus ohne Religion geben kann. Dazu referiert sie unterschiedliche Analysen und Strategien, zitiert dabei auch trefflich u.a. Hannah Arendt, Norbert Elias und Mahatma Ghandi, um erst ganz zum Ende eine eigentümliche Schlußfolgerung preiszugeben. Für die Ursachenbenennung von Gewalt, hebt sie die "allgegenwärtige Konkurrenz gleicher Wünsche" als "vielleicht gewichtigsten Grund" hervor, denn "Der Gedanke ist zwingend: Gerade wenn die Gleichheit die Einebnung aller Unterschiede erreichen würde, inklusive des Eigentums und der Teilhabe an allen Gütern, gerade dann wäre die Zahl meiner Konkurrenten im Kampf um Ressourcen und Lebensglück ins Unendliche gesteigert. (...) eine Provokation für das Denken, die uns weiter verfolgen wird: Nicht nur die Gewalt, auch die Egalität gehört zu den Ursachen für die Krisen der Moderne."
Und mit einem Mal reduziert sich das Ganze auf eine Schnitzeljagd, die über den Aspekt des nationalistisch mörderischen Kleinbürgertums, dessen schlimmstes Vergehen nach A.V. die Vernichtung des (Groß-) Bürgertums gewesen zu sein scheint, zu Betrachtungen über Thomas Manns "Zauberberg" gelangen, um schließlich den Schatz der Erkenntnis zu bergen: "Was fehlt, sind die neuen Citoyens des neuen Europa" und die sollen dann "eine dritte Phase der Zivilisation versuchen, die den Respekt vor den früheren Menschheitskulturen der Gewaltbeherrschung wahrt und trotzdem über die Gründe des Untergangs weiß". Durch erfolgreiche Praxis belegte Strategien gäbe es zur Genüge, "was es noch nicht gibt, ist die soziale Schicht, die sich für die Entwicklung dieser neuen zivilisatorischen Codes zuständig und gleichzeitig noch für das eigene Gemeinwesen verantwortlich fühlt." Dieser Schicht müßte dann auch "ein wirksamer Gesang" einfallen, "der den heißen Frieden abzukühlen imstande wäre." Denen galt das also: Einer neuen Schicht von Überbürgern, pardon, "Citoyens", die sich vor Gleichheit zu schützen weiß, die aber dennoch soviel Gemeinschaftssinn aufbringt, über hingekullerte "Bausteine" für die geforderte dritte Phase "kreativ zu streiten". Wer nun eigentlich? Ist A.V. bereits die Prima inter primos? Und für was, wenn nicht für die "Teilhabe" aller an allem, was das Leben lebenswert macht?
Was einigermaßen fesselnd mit der Frage nach einer ethischen Mitte beginnt, mündet in verquasten Formulierungen populären Geraunes, dem auch noch Beifall aus der falschen Ecke gezollt werden könnte.
Da paßt im Nachhinein auch der unbekümmerte Gebrauch des Pluralis majestatis und eines Terminus wie "Dritte Welt", oder einen Günter Grass in einem Atemzug mit Botho Strauß als vom deutschen Volk bzw. Feuilleton "verhaftete Voltaires" zu bezeichnen.

Weitere Besprechungen zu Werken von Antje Vollmer siehe:
Antje Vollmer: Heißer Frieden (1995)
Antje Vollmer & Friedrich Hechelmann: Orpheus und Eurydike (1996)

Buechernachlese © Ulrich Karger


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