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Den launig professoralen, zuweilen aber sehr prägnanten Geschichtsbetrachtungen
Joschka Fischers und dem Kassandra-Pamphlet Jutta Ditfurths über die
Gleichheit folgt nun Antje Vollmers "HEISSER FRIEDEN". Sie fragt
zuerst nach den Hintergründen von Gewalt und weist dabei als gelernte
Theologin den religiösen Kulten, nicht zuletzt den Opferkulten, eine
herausragende Bedeutung zur Friedenssicherung zu. Gewalt wurde einst als
Hereinbrechen des Chaos und der Opferkult als "Meister der Furcht"
erachtet. "Der Kultus ist immer die zweite Schöpfung, die satt
ist von der Erfahrung des Unheils und der Tragödien der Menschengeschichte.
Der Beginn dieser kultischen Friedensordnung ist die Ersetzung der Menschenopfer
durch Tieropfer." Von den Menschenopfern zu den Tieropfern, von Abraham
zu den Gesetzen Moses, von Moses zu Jesus, von Jesus zu Martin Luther schlägt
sie einen recht überzeugenden, weil plausiblen Bogen über das,
was den jeweiligen Krisen geantwortet wurde. "Kultus und Religion haben
von alters her die Aufgabe, Gewalt zu bändigen und von der Gesellschaft
fernzuhalten. Niemand hat darüber mehr und Erhellenderes geschrieben
als der Ethnologe und Kulturphilosoph René Girard", der zu dem
Schluß kommt: "Es gibt keine Gesellschaft ohne Religion, weil
ohne Religion keine Gesellschaft möglich wäre." Wer nun aber
ein nachdrückliches, an uns alle gerichtetes Credo für das Wiederbedenken
von religiöser Herkunft oder gar das reformerische Mit- und Neugestalten
alter Religionsgemeinschaften erwartet (oder befürchtet), wird enttäuscht.
Die Politikerin A.V. weiß sehr wohl, daß sie damit in ihren
Reihen nur wenig Zustimmung fände. Also fragt sie als Nächstes,
ob es einen Pazifismus ohne Religion geben kann. Dazu referiert sie unterschiedliche
Analysen und Strategien, zitiert dabei auch trefflich u.a. Hannah Arendt,
Norbert Elias und Mahatma Ghandi, um erst ganz zum Ende eine eigentümliche
Schlußfolgerung preiszugeben. Für die Ursachenbenennung von
Gewalt, hebt sie die "allgegenwärtige Konkurrenz gleicher Wünsche"
als "vielleicht gewichtigsten Grund" hervor, denn "Der Gedanke
ist zwingend: Gerade wenn die Gleichheit die Einebnung aller Unterschiede
erreichen würde, inklusive des Eigentums und der Teilhabe an allen
Gütern, gerade dann wäre die Zahl meiner Konkurrenten im Kampf
um Ressourcen und Lebensglück ins Unendliche gesteigert. (...) eine
Provokation für das Denken, die uns weiter verfolgen wird: Nicht nur
die Gewalt, auch die Egalität gehört zu den Ursachen für
die Krisen der Moderne."
Und mit einem Mal reduziert sich das Ganze
auf eine Schnitzeljagd, die über den Aspekt des nationalistisch mörderischen
Kleinbürgertums, dessen schlimmstes Vergehen nach A.V. die Vernichtung
des (Groß-) Bürgertums gewesen zu sein scheint, zu Betrachtungen
über Thomas Manns "Zauberberg" gelangen, um schließlich den
Schatz der Erkenntnis zu bergen: "Was fehlt, sind die neuen Citoyens
des neuen Europa" und die sollen dann "eine dritte Phase der Zivilisation
versuchen, die den Respekt vor den früheren Menschheitskulturen der
Gewaltbeherrschung wahrt und trotzdem über die Gründe des Untergangs
weiß". Durch erfolgreiche Praxis belegte Strategien gäbe
es zur Genüge, "was es noch nicht gibt, ist die soziale Schicht,
die sich für die Entwicklung dieser neuen zivilisatorischen Codes
zuständig und gleichzeitig noch für das eigene Gemeinwesen verantwortlich
fühlt." Dieser Schicht müßte dann auch "ein wirksamer
Gesang" einfallen, "der den heißen Frieden abzukühlen
imstande wäre." Denen galt das also: Einer neuen Schicht von Überbürgern,
pardon, "Citoyens", die sich vor Gleichheit zu schützen weiß,
die aber dennoch soviel Gemeinschaftssinn aufbringt, über hingekullerte
"Bausteine" für die geforderte dritte Phase "kreativ zu
streiten". Wer nun eigentlich? Ist A.V. bereits die Prima inter primos?
Und für was, wenn nicht für die "Teilhabe" aller an allem,
was das Leben lebenswert macht?
Was einigermaßen fesselnd mit der
Frage nach einer ethischen Mitte beginnt, mündet in verquasten Formulierungen
populären Geraunes, dem auch noch Beifall aus der falschen Ecke gezollt
werden könnte.
Da paßt im Nachhinein auch der unbekümmerte
Gebrauch des Pluralis majestatis und eines Terminus wie "Dritte Welt",
oder einen Günter Grass in einem Atemzug mit Botho Strauß als
vom deutschen Volk bzw. Feuilleton "verhaftete Voltaires" zu bezeichnen.
Weitere Besprechungen zu Werken von Antje Vollmer siehe:
Antje Vollmer: Heißer Frieden (1995)
Antje Vollmer & Friedrich Hechelmann: Orpheus und Eurydike (1996)