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Es fängt eigentlich ganz harmlos an. Gerade hatte Veit als Bücherwurm
den "beknackten" Wettlauf von Amundsen und Scott an den Südpol
begleitet, da schickt ihn der Vater zum Bierholen. Veits Vater ist stets
mißlaunig, weil arbeitslos. Mit dem Bier würde er wenigstens
Ruhe geben. Im Supermarkt trifft Veit dann seine heimliche Liebe Martina.
Heimlich deshalb, weil die Liebe eines "Klumpfußes" zu so
einem tollen Mädchen ja nie und nimmer auf Gegenliebe stoßen
kann. Veit ist schon froh, daß Martina gelegentlich ein Wort mit
ihm auf dem Schulhof wechselt. Und dabei hat sie eine Art, "da könnte
Veit immer 'nen dreifachen Salto machen, mindestens. So witzig ist sie,
so lieb. So normal ist sie zu ihm." Auch jetzt im Supermarkt lacht
sie ihn an und hakt sich bei Veit sogar unter. Hilft er ihr beim Schokoladekaufen,
begleitet sie ihn beim Bierholen. Doch Martina klaut eine der drei Tafeln
Schokolade. Sie hat Veit nur als Deckung mißbraucht. Und dann werden
sie auch noch erwischt. Als Veit, ganz Held, die Schuld auf sich alleine
nimmt, läßt Martina ihn im Stich ...
Dem in Berlin geborenen Mittdreißiger Andreas Venzke gelingt
in VEIT UND EIN ANDERER TAG nicht zuletzt dank seiner hellhörig abgelauschten
und wohldosiert eingesetzten Jugendlichen-Idiome die keineswegs leichte
Gratwanderung zwischen Anrührung und Situationskomik. Seine Sprachregelung,
gekonnt zwischen erster und dritter Person changierend, gewährt eine
glaubwürdige und durchaus vielschichtige Innenschau in das verunsicherte
Gefühlsleben eines Jugendlichen. Der "Kniff", seinen Helden
mit einem "Klumpfuß" auszuzeichnen, entfaltet eine überzeugende
Eigendynamik. Die Gedankengänge Veits erhalten so einen weiteren Drall,
gerade weil sie sich nur unwesentlich von nichtbehinderten Menschen seines
Alters unterscheiden. Aus der Summe seiner Eigenheiten hat Veit jedoch
eine hohe Sensibilität entwickelt. So kennt er sich zwar auch im Selbstmitleid
ganz gut aus, findet aber immer wieder zu sich und einer unaufdringlich
auch die LeserInnen positiv verstärkenden Haltung zurück. Der
"ganz normale" Alltag mit ignoranten Lehrern, brutalisierten Mitschülern
und dem arbeitslosen, geschiedenen Vater sorgt in dieser "heimlichen"
Liebesgeschichte zudem für eine gehörige Portion Spannung und
kommt im Happy End ohne Übertreibungen aus.
Weitere Besprechungen zu Werken von Andreas Venzke siehe:
Andreas Venzke: Veit und ein anderer Tag (1996)
Andreas Venzke: Zwei Fluchten (1997)