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Büchernachlese-Extra: Hans-Ulrich Treichel

Hans-Ulrich Treichel

Der Verlorene

Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1998, 175 S., ISBN: 3-518-40956-5, >>> Amazon
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Der Ich-Erzähler in Hans-Ulrich Treichels neuestem Werk schildert einmal mehr eine Kindheit zwischen den 50er und 60er Jahren in einer deutschen Kleinstadt. Die Eltern mußten Ende des Krieges aus den Ostgebieten flüchten und haben dabei seinen älteren Bruder verloren. Erst hieß es noch, dieser Bruder sei während der Flucht verhungert, dann stellt sich heraus, daß er bei einem Überfall russischer Soldaten in die Hände einer unbekannten Frau gegeben und dann nicht mehr wiedergefunden worden ist. War der jüngere anfangs noch stolz auf seinen toten Bruder, wird der nun mit allen Mitteln gesuchte Bruder zu einer Bedrohung. Der einzige Vorteil jetzt, die zuvor diffus drückende Athmosphäre steht nun unter klar benennbaren Vorzeichen. Die Eltern fixieren sich schließlich auf ein Findelkind mit der Nummer 2307, das offenbar Ähnlichkeiten mit dem jüngeren aufweist. Der Erzähler erhält nun sogar eine gewisse Aufmerksamkeit, jedoch nur, um bei den vergleichenden Untersuchungen die Forderung nach diesem Konkurrenten zu unterstreichen.
Zwischen 1950 und 1960 geborene sowie über den Kanon hinausschauende Leser dürften an diesem Werk in jedem Fall ihr schwarzgalliges Vergnügen finden. Treichel hat hierin die Lakonie zur Meisterschaft gebracht. Wie sprachfertig und mit welch hintersinnigen Assoziationsketten er die Protagonisten jener Zeit mit- und aneinander vorbeileben läßt, sucht ihresgleichen. Seine Erzählung über Phantomgeschwister und Wirtschaftswunderrituale ist von einer hellsichtigen Tragikomik, die verzweifelte Kinder überleben läßt. Sie hilft etwas benennen, was vorher unsäglich war und ist der erste Schritt zur ernsthaften Trauerarbeit über eine unwiderbringlich verdorbene Kindheit.

Weitere Besprechungen zu Werken von Hans-Ulrich Treichel siehe:
Büchernachlese-Extra: Hans-Ulrich Treichel

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