Startseite: Büchernachlese
Büchernachlese
Rezensionen-Archiv © Ulrich Karger
Belletristik | Krimis | SF | Sachbuch | Kinder-& Jugend
Information zur Büchernachlese auf facebook - schön, wenn es
buechernachlese.de

Büchernachlese-Extra: Hans-Ulrich Treichel

Hans-Ulrich Treichel

Der irdische Amor

Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002. 256 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 3-518-41352-X, >>> Amazon
(Mit >>> Amazon gekennzeichnete Links sind sogenannte Affiliate Links. Kommt über einen solchen Link ein Einkauf zustande, wird die Büchernachlese mit einer kleinen Provision beteiligt. Für Sie/Dich entstehen dabei keine Mehrkosten. Das Wo, Wann und Wie eines Produkterwerbs bleibt natürlich Ihnen/Dir überlassen.)

Albert ist Anfang, Mitte zwanzig Jahre alt und studiert wenig erfolgreich Kunstgeschichte. Auch wenn ihm die Annäherungen an Frauen weit wichtiger sind, ist er hierbei jedoch kaum erfolgreicher. Als Albert schließlich die schöne, sehr schweigsame Elena kennenlernt, zieht er mit ihr in ihre Heimat Sardinien, nur um dann festzustellen, dass er an der Seite einer diplomierten Kosmetikerin nicht leben kann. Bei seiner Abreise aus Sardinien hat er immerhin eine neue Postanschrift in der Tasche, die einer hübschen Geologiestudentin aus Kiel.

Nach 'Der Entwurf des Autors' kann 'Der irdische Amor' bestenfalls als ein von einigen Glanzlichtern erhelltes Nebenwerk Hans-Ulrich Treichels eingestuft werden. In jenen Glanzlichtern brilliert der Autor einmal mehr mit seiner Begabung, abseitigen Anstrengungen nach Anerkennung zwerchfellreizende Komik abzuringen.
'Nach einigen Wochen Training fiel Albert so gut, wie er in seinem ganzen Leben noch nie gefallen war. Er war überhaupt sehr selten gefallen. In Wahrheit war er in seinem ganzen Leben nur einziges Mal ernsthaft gefallen. (..)
Hier, in der Judoschule, fiel er andauernd - und immer besser. Und in gewisser Weise freute er sich schon darauf, einmal außerhalb der Judoschule zu fallen. Aber er fiel nicht außerhalb der Judoschule. Er hatte später auch nie die Gelegenheit gehabt, einmal außerhalb der Judoschule einen Judogriff anzuwenden. Judo war etwas, das ganz für sich existierte. Man hatte im Grunde nichts davon. Es sei denn, man wurde Meister und gründete eine Judoschule.'


Doch solche Absätze als Teil vorzüglich gebauter Kurzprosafragmente, die in den früheren Veröffentlichungen allesamt auch für sich allein hätten stehen können, sind hier nun zuweilen aufgebläht, als wäre Treichel das Erfüllen einer bestimmten Seitenzahl vertragliche Pflicht gewesen. Weit fataler: Abgesehen von einer Reihung ganz zu Anfang, fehlen der Anordnung all dieser Fragmente zum 'Roman' Proportion und Rhythmus, weil wiederum dem Ganzem kein wirklich dringender Erzählgrund abzulesen ist. Die Figur des Albert ist weder Fisch noch Fleisch, kein Kind, kein Pubertierender aber auch noch längst kein mündig Erwachsener. Und es ist für Albert kein Ausweg, keine Entwicklung in Sicht, die förderlich oder gar komisch oder wenigstens tragisch wäre. Ein Snob zwischen Hypochondrie und Selbstüberschätzung, zwar eloquent in seinen intellektuellen Ausweichmanövern, verharrt er langweilend unbedarft auf sein sprachloses Miteinander mit anderen Menschen - mit dem spannungsgeladenen Schweben auf dem Scheitelpunkt einer Krisis hat dieses Verharren rein gar nichts zu tun, die Möglichkeit dazu wurde offenbar weder erkannt noch gesucht. Dagegen wird von der schönen Elena eine Größe lediglich behauptet, die am Ende in der Zuspitzung mündet: 'Einfältig war Elena nicht, auch nicht edel einfältig. Aber so etwas wie stille Größe strahlte sie durchaus aus, besonders jetzt, im Stande der Ruhe, wie Winckelmann gesagt hätte. Ob sie litt oder auch nur traurig war, konnte man ihr nicht ansehen.'

Der Leser konnte es auch nicht, hätte es aber gern. Hätte der Autor diese Elena weniger ins sprachlose Abseits gestellt, wäre es vermutlich sogar spannend geworden. Selbst oder gerade als Ich-Erzähler vermochte Treichel früher seiner Personage weit eher ein würdigend ebenbürtiges Gegengewicht zu verleihen, als in der 3. Person seines 'Helden' Albert.
Das Ganze wirkt wie ein verspäteter Nachhall auf das egomane Sexualität und Onanie in den Vordergrund hebende 68er Mitläufer-Umfeld, das unter dem Vorwand scheinbar intellektueller Überlegenheit zwar die Welt verbessern wollte, aber noch nicht einmal untereinander wirkliches Interesse an einer Auseinandersetzung auf gleicher Augenhöhe bewies - doch selbst ein konkreter, wenigstens aus historischer Sicht interessanter Zeitbezug wird hier nicht hergestellt.
Fazit: Dieser irdische Amor hat einem wirklich nicht gefehlt.

Weitere Besprechungen zu Werken von Hans-Ulrich Treichel siehe:
Büchernachlese-Extra: Hans-Ulrich Treichel

Buechernachlese © Ulrich Karger


NB!: Impressum, Disclaimer, Datenschutzerklärung | Hinweise u.a. fürs Kopieren und Zitieren eines Artikels von Ulrich Karger unter Kontakt-FAQ.
>>> Amazon: Direktlinks zu Amazon für neue & gebrauchte Buchexemplare. Ältere Titel sind bei Amazon z.T. (noch) nicht oder etwas anders gelistet. Hier, soweit angegeben, Buchpreise des Erscheinungsjahrs



[BB]