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"Schön war sie nicht, auch nicht anmutig, besondere Klugheit
wurde ihr nie nachgerühmt. Gleichwohl ist Schlegel von ihr, wenn man
den Zeitzeugen glauben darf, sofort tief beeindruckt gewesen."
So Marcel
Reich-Ranicki über die "Berliner Jüdin" Henriette Herz,
zu der er im übrigen noch auf derselben Seite erläutert, daß
sie ihren Mann, den "romantischen Propheten" Friedrich Schlegel
"fortwährend beraten" und zudem Buchbesprechungen, Übersetzungen
aus dem Französischem und "viele nachdenkliche Briefe" verfaßt
hat.
Solche Randnotizen lassen sicher nicht nur einem die Haare zu Berge
stehen. Dennoch werden nur wenige DIE ANWÄLTE DER LITERATUR wutentbrannt
beiseitelegen, auch wenn sich "plakative" Widersprüche dieser Art
in so manch anderem der insgesamt 23 Kurzportraits finden. Denn Marcel
Reich-Ranicki hat den "Charme" eines sich zu einem Standpunkt bekennenden
Subjekts, der sehr wohl von den vielen anderen Standpunkten weiß.
Damit er sich aber nicht andauernd relativierend rückversichern muß,
steckt er seine Passion eng ab - bisweilen zu eng! Aber dieses Feld beherrscht
er in unseren Landen wie kaum ein zweiter.
Ob nun vorwiegend als Kritiker
bekannt wie Nicolai, Schlegel, Börne oder Kerr oder vor allem darüber
hinaus wie Lessing, Goethe, Heine und Thomas Mann, über alle trifft
er sein dezidiertes Urteil. Dabei wird von ihm das Positive wie das Negative
reichhaltig belegt und nach Quellen ausgewiesen, um schließlich an
seiner Vorstellung von Literaturkritik (und Weltsicht) gemessen zu werden.
Seine Verehrung für die von ihm ausgewählten Kritikerfürsten
(und einer Fürstin) ist also alles mögliche, nur nicht blind
und ungeteilt. Seine diffuse Haltung den Frauen gegenüber und das,
was er dann doch als "preussisch" oder/und "jüdisch"
apostrophieren zu müssen glaubt - nun, das lernt man als eine seltsame
Unart kennen, die von ihm sicher nicht wirklich dumm oder böse gemeint
ist, aber eine dumme oder böse Wirkung haben könnte, die er in
all seiner Sprachverliebtheit offenbar nicht wahrzunehmen vermag. Würde
sonst seinem kurzweiligen Witz oder den pontierten Seitenhieben die Schärfe
genommen? Sicher nicht! Rezensenten wie unsereinem bietet er mit diesem
Buch auch ohne diese Zutaten fundierte Einblicke und eine griffige Zusammenschau
dessen, was eine bündige Literaturbetrachtung sein kann.
Nur schade,
daß er seine zwischen den Jahren 1961 und 1993 gesammelten Aufsätze,
Reden und Essays ohne übergreifendes Konzept aneinandergereiht hat
- nicht, weil er so desöfteren einige seiner geliebten Zitate wiederholt,
aber dann hätte er nicht nur wie bei Jacobson und Tucholsky etwas
mehr von dem Kolorit damaliger Leserschaften eingebracht und eventuell
auch noch die dürftigsten biographischen Daten seiner "Helden" vervollständigt
und den jeweiligen Texten leserfreundlich vorangestellt.
Weitere Besprechungen zu Werken von Marcel Reich-Ranicki siehe:
Marcel Reich-Ranicki: Die Anwälte der Literatur (1994)
Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben (1999)