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Adi hatte genug von der Schule. Mit seinen 16 Jahren wollte er nur noch
raus aus dem Zwang, gierte nach Freiheit. Noch vor Ausgabe der Jahresschluss-Zeugnisse
meldete er sich krank und fuhr zu seiner Mutter nach Linz. Die Mutter ließ
sich wie immer von Adis Erklärungen besänftigen. Auch der Arzt
fiel auf Adi herein und empfahl, ihn für ein Jahr vom Schulbesuch
zu befreien. Nun konnte Adi in Muße seinem geliebten Wagner in der
Oper frönen. Dabei lernte er auch Gustl kennen. Gustl bewunderte nahezu
vorbehaltlos die Phantasien Adis und erwies sich als idealer Stichwortgeber.
Kritik vertrug Adi von jeher nur sehr schlecht. Gustl jedoch, der erst
auf Anraten Adis überhaupt an ein Studium in Wien zu denken gewagt
hatte, wurde sehr erfolgreich, weit erfolgreicher als Adi. Ihm gelang es
auch beim zweiten Mal nicht, die Aufnahmeprüfung der Kunstakademie
zu bestehen, und so landete Adi mit knapp zwanzig Jahren als Obdachloser
auf der Parkbank.
Die renommierte Kinderbuchautorin Gudrun Pausewang, Jahrgang 1928,
ist nach eigenem Bekunden "selten mit solchem Eifer an die Ausführung
eines spontanen Einfalls" gegangen. Auslöser war ein Buch Franz
Jetzingers, worin es heißt: "Den Führer Hitler kennt nur,
wer den jungen Hitler kennt."
Vom Idealbild zum monsterhaften Zerrbild - insbesondere die Kinder-
und Jugendzeit Hitlers blieb auch für ernsthafte Historiker eigentümlich
unscharf. Pausewang räumt unumwunden ein, daß ihr Versuch, Adolf
Hitlers 16. bis 20. Lebensjahr zu schildern, von daher auf sehr vagen Quellen
gründet. Den zu jener Zeit bereits verstorbenen Vater Hitlers skizziert
sie nur kurz im Rückblick. Die Mutter schildert sie dagegen ausführlich
als liebenden, leicht hinters Licht zu führenden Elternteil. Und Adi
neigt zum heftigen Gestikulieren, wie er auch schon seinen Hass auf Juden
und "mieses Menschenmaterial" formuliert und sich nach der Lektüre
eines OSTARA-Heftchens in die Hakenkreuz-Rune verliebt.
Das Buch ist zweifelsohne spannungsreich, insbesondere wegen der (noch)
wechselhaften Reaktionen auf Adis bereits virulenten Größenwahn,
und die Sprachregelung ist klar und flüssig - und gerade deshalb sollte
diese Biographie keinem Jugendlichen "einfach so" in die Hand gegeben
werden. Zum Auffüllen der historischen Lücken unterlag Gudrun
Pausewang nämlich einem widersprüchlichen, um nicht zu sagen
unausgegorenen Ansatz. So wollte sie Hitler als Jugendlichen schildern,
der "zwar einige eigenartige Charakterzüge aufwies, aber insgesamt
nicht aus dem Rahmen fiel". Dementgegen staunt sie am Ende ihres Nachwortes
darüber, daß "sich die Mehrheit eines ganzen Volkes diesen
Menschen zum Führer wählte".
Letztlich wirkt Adi aber dann doch ziemlich psychotisch, eingebettet
ins Klischee vom eigentlich ganz harmlosen Umfeld. Selbst Gustl interessiert
sich nicht für Adis politische Ansichten, und nur ganz selten deutet
sich der am Anfang des Jahrhunderts längst gährende Nährboden
an, der Hitler anzieht und zum "Führer" werden läßt.
Und was Adis "Eigenarten" angeht: Seine Psyche ist eben vermutlich
nicht erst in der Jugend, sondern bereits in seiner Kindheit "gebrochen"
worden.
Weitere Besprechungen zu Werken von Gudrun Pausewang siehe:
Gudrun Pausewang: ADI: Jugend eines Diktators (1997)
Gudrun Pausewang: Der einhändige Briefträger. (2015)