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Mitte des 19. Jhdts wurde Friedrich Gerstäcker (=F.G.) zu einem
Vorläufer heutiger Abenteuerliteratur und so bekannt wie später
Karl May, der allerdings seitenweise von F.G. abgeschrieben hatte. Jahrzehntelang
nahezu vergessen sind nun die zwei ersten Bände einer authorisierten
Werkausgabe im Union Verlag erschienen. Die Herausgeber Wolfgang Bittner
und Thomas Ostwald haben diese Bände behutsam in eine Sprache übertragen,
die uns heute ein müheloses Lesen erlaubt, andererseits der originalen
Sprachregelung noch nah genug verhaftet ist, um nicht zuletzt auch in ihr
den damaligen Sinn für's Exotische spürbar werden zu lassen.
Im Gegensatz zu den vergleichsweise glatten Phantasien Karl Mays resultieren
die Romane F.Gs aus dessen eigener Anschauung und Recherche vor Ort, was
die Sprachstudien der von ihm besuchten Naturvölker (u.a. in Nordamerika
und der Südsee) einschloß. Die Protagonisten seiner Romane sind
also vom Leben abgeschaute Typen, die in einer fiktiven aber wahrscheinlichen
Geschichte auftreten. In diesem Roman (wie auch in DIE REGULATOREN ...)
sind es dann auch Mitglieder des Klerus, die mit ihrer Bigotterie Gift
in die an sich harmonischen Gesellschaften verspritzen. Besonders hervorgehoben
wird das Vergewaltigende missionierender Christen in TAHITI. Dabei stellt
F.G. dem fanatischen einen toleranteren Missionar gegenüber und versagt
sich so einen platten Schlagabtausch.
TAHITI ist die Liebesgeschichte eines geflüchteten Matrosen und
einer christlich erzogenen Südseefrau. Das größte Problem
für die beiden besteht anfangs irrwitzigerweise darin, daß sie
einem streng protestantischen, er aber einem eher weniger intensiven katholischen
Glauben anhängt ...
Das liest sich zuweilen wie eine Satire auf die gesellschaftlichen
Verhältnisse und Problemstellungen des alten Europas. TAHITI geht
jedoch über die klerikalen Streitereien hinaus und stellt die Grundsatzfrage,
ob sich unterschiedliche Kulturen überhaupt mehr als nur annähern
können. Bezeichnenderweise gelangen die Spannungen zwischen dem Liebespaar
dann an einen Siedepunkt, als sie in ständigen Kontakt mit anderen
Europäern 'geraten'.
F.G. hebt auch in TAHITI Widersprüche nicht einfach auf, sondern
läßt sie unbeschönigt aufeinanderprallen. Wieder schaut
der Leser direkt in Hütten und Heiligtümer und hat an Sitten
und Gebräuchen der Südseeinsulaner regen Anteil.
Neben seinem literarischen Handwerk ist es aber vor allem die Einstellung
zu seinen Sujets, die F.G. so herausragend und nach wie vor aktuell sein
läßt. Der Union Verlag hat alles getan, um diesem Werk nun eine
würdige Wiedergeburt zu ermöglichen. Solide Leinenbindung und
lesefreundlicher Druck verstanden sich dabei fast von selbst, aber] den
Illustrationen wurde ebenfalls ein beachtlicher Raum zugebilligt. Nach
langen Verhandlungen wurde dafür ein Meister seines Faches, nämlich
Uwe Häntsch aus der DDR verpflichtet, und so ist diese Werkausgabe
die zweite (neben der Brechtausgabe), die in Coproduktion mit einem DDR-Verlag
(NEUES LEBEN für die Ausstattung) entstanden ist.
Zum Schluß also das hymnische Finale: Eine spannende, authentische,
im historischen und aufklärerischen Sinne bildende Lektüre, die
in ihrer bibliophilen Ausstattung hoffentlich nicht mehr langer als Rarität
gehandelt werden muß.
Die Friedrich Gerstäcker Werkausgabe:
Friedrich Gerstäcker: Die Regulatoren von Arkansas (1988)
Friedrich Gerstäcker: Tahiti (1988)
Friedrich Gerstäcker: Die Flußpiraten am Mississippi (1989)
Weitere Besprechungen zu Werken von Wolfgang Bittner siehe:
Wolfgang Bittner: Tommy und Beule (1997)
Vorlesetipps zu den drei Titeln:
Wolfgang Bittner: Grizzly Gruzzly Bären (1996)
Wolfgang Bittner: Felix, Kemal und der Nikolaus (1996)
Wolfgang Bittner: Der schwarze Scheitan (1998)