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"Ihre Gesichter schienen alle ein und denselben Ausdruck zu haben,
als wäre ein Muskel herausgeschnitten worden, einer von denen, die
die komplexe Mimik des Lachens lenken, jener Nerv - könnte man sagen
-, der den Humor, die Ironie zum Ausdruck bringt: die Befriedigung, die
die Intelligenz für sich selbst reserviert."
Ein Ich-Erzähler lüftet mehr und mehr das Geheimnis seiner
Herkunft und in dem obigen Zitat beschreibt er das Publikum seines letzten
offiziellen, von Nazianhängern ad absurdum geführten Schachturniers.
Aber der so zu einem ungerechtfertigten Sieg gekommene Gegner wird keine
rechte Freude an diesem Sieg haben und zu guter Letzt doch den Preis seiner
eigentlichen Niederlage zahlen müssen. Ausgehend von einem rätselhaften
Todesfall, gelingt Paolo Maurensig eine Art Glasperlenspiel: DIE LÜNEBURG-VARIANTE
erzählt nicht nur vom Schachspielen, sondern birgt in sich den Geist
dieses Spieles selbst. Und dieser Geist kann vernichtend sein. Mit wunderbaren
Metaphern schildert der Autor die Möglichkeiten dieses Sportes, die
von der kreativ künstlerischen Verspieltheit bis zur zerstörerischen
Selbstvergessenheit reichen. Die Kenntnis alter und neuester Züge
auf dem Schachbrett sind unbedingte Voraussetzung für die Meisterschaft
dieses Spiels. Außerdem hat jedes ernsthafte Spiel seinen Preis.
Der Tote war ein guter Schachspieler, hatte aber seine "Spiele" als Nazi-Offizier
eines KZ's verdrängt. Der andere hat als Jude eben dieses KZ überlebt.
Ein dritter, junger Schachprofi wird Jahrezehnte später zum Zuträger
des letzten Zuges.
Trotz der an ihrer hin und wieder offensichtlichen Wortwörtlichkeit
leidenden Übersetzung ist man bis zuletzt gefesselt.
Weitere Besprechungen zu Werken von Paolo Maurensig siehe:
Paolo Maurensig: Die Lüneburg-Variante (1994)
Paolo Maurensig: Spiegelkanon (1997)