buechernachlese.de
|
Am 20. März 1944 ist Ruben Jablonski 18 Jahre alt und sieht sich von einem Tag auf den anderen aus dem ukrainischen Ghetto Mogilev-Podolsk befreit. Drei Jahre hat er teils allein teils zusammen mit seiner Familie den Terror aushalten müssen, und jetzt wollte er zurück an den Ort seiner Großeltern, nach Sereth in der Bukowina - doch das ist zerstört. Während seine Mutter und sein kleiner Bruder sich nun auf den Weg nach Frankreich zum schon 1938 dorthin geflohenen Vater aufmachen, drängt es Ruben nach Palästina. Dort hofft er nach langer Bahnfahrt das idyllische Miteinander eines jüdischen Schtetls wieder zu erleben ...
Vor zehn Jahren, 1997, hat Edgar Hilsenrath den autobiographischen Roman "Die Abenteuer des Ruben Jablonski" veröffentlicht - es war genau genommen, seine letzte eigenständige Buchveröffentlichung, wenn man einmal von Berlin ... Endstation (2006) absieht.
Im Zentrum stehen hier die sieben Jahre zwischen seiner Befreiung aus dem Ghetto, das Finden seiner Bestimmung als Autor und seine Erfahrungen in Palästina, die am Ende in das Zusammentreffen mit seiner Familie in Frankreich und seiner Abfahrt auf dem Luxusdampfer De Grasse nach New York münden. Doch auch die Kindheitserinnerungen finden noch auf den ersten 100 Seiten bedeutsame Referenz, sind sie doch wiederum der Schlüssel für die späteren Sehnsüchte in seinem Leben.
Das diese Werk nicht einfach mit "Autobiographie" abgehandelt werden kann, liegt an Hilsenraths Sinn für Dramatik und lapidarer Zuspitzung, die seinen "Lebensstoff" zu bändigen weiß. Lediglich einige etwas hölzern in Dialoge verpackte, historisch politische Exkurse stören ein wenig den Lesefluss - alles andere jedoch entführt den Leser in den Wagen einer Achterbahn, worin dem jonglierenden Ich-Erzähler trotz allen Auf und Abs nie die Bälle aus der Hand gleiten, egal, ob er uns nun Tragisches oder allzumenschlich Komisches, Brutales oder Zärtliches vor Augen führt.
Und so selbstgewiss er sein jugendliches Ich von seiner Bestimmung als Schriftsteller erzählen lässt - die nichtsdestotrotz belegten Selbstzweifel und vor allem seine Selbstironie feien ihn jederzeit vor jener eitlen Selbstherrlichkeit, der andere seiner Weltgeltung offenbar nur allzu widerstandslos immer wieder auf den Leim gehen.
Dieser Ruben Jablonski salbadert nicht von hehren Zielen, wo es ihm allein um die Bestätigung seiner Existenz geht - und die spürt er vor allem im Ausleben seiner Sexualität, sei es nun mit sich allein oder mit allem Weiblichen, was sich nicht schnell genug von ihm entfernt. Das ist aus heutiger Sicht z.T. etwas grenzwertig, insbesondere wenn sich Ruben neben weit älteren auch an sehr junge Mädchen heranmacht, aber dabei darf man eben auch nicht die Umstände und das eigene jugendliche Alter des Protagonisten außerachtlassen.
Als grenzwertig dürften auch nach wie vor Rubens geäußerte Ein- und Ansichten zum Staat Israel angesehen werden, dessen Werden er voller Hoffnung und Sympathie, zuletzt aber auch sehr kritisch kommentiert.
So mitreißend dieser Roman auch ist, schon von der Anlage her kann er nicht den Höhepunkt im Schaffen des Edgar Hilsenrath darstellen. Dieses Werk ist aber nicht zuletzt ein justierendes Scharnier, das gerade auch die grausig bildstarke Fiktionalität seiner vorangegangenen großartigen Werke zu belegen hilft - von denen mindestens vier weit über "Die Blechtrommel" hinausweisen, gerade auch was ihre innere Wahrhaftigkeit angeht.
Weitere Besprechungen zu Edgar Hilsenrath sowie Gesamtliste der Werkausgabe siehe:
Büchernachlese-Extra: Edgar Hilsenrath