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Sebastian Haffner hat 1940 mit seinem Debut "Germany: Jekyll & Hyde 1939" in vielerlei Hinsicht ein erstaunlich hellsichtiges Buch vorgelegt, das in nur wenigen marginalen Details von der Geschichte widerlegt wurde, dessen eigentliche Substanz im Grundsatz aber bis heute trägt und noch immer auch nach vorne weist.
Als Emigrant in England bezeugt er mit seiner Analyse und deren Weiterungen als Zeitgenosse das bessere, wenn nicht das beste Deutschland jener Tage, denn er verfügt offenbar schon damals neben seiner Brillanz als Autor auch über die nach Versöhnung strebende Mittlergabe eines Mediators, gerade weil er die Wurzel allen Übels glasklar zu benennen weiß und hierfür keineswegs um Schonung bittet. Und trotz aller erfahrener Enttäuschungen wollte er weder, dass dieses Naziregiment seine Ziele erreicht, noch dass am Ende des gerade erst begonnen Weltkrieges Deutschland keine Zukunft mehr hat. So differenziert er Kapitel für Kapitel der Reihe nach zwischen "Hitler", "Die Naziführer", "Die Nazis", "Die loyale Bevölkerung", "Die illoyale Bevölkerung", "Die Opposition", "Die Emigranten" und zeigt am Ende "Möglichkeiten" und in der nun erstmals ungekürzten Ausgabe auch "Deutschlands Talente, Deutschlands Misson" auf.
Den alliierten Feinden Deutschlands, damals insbesondere England und Frankreich, sollten Mittel aufgezeigt werden, wie Deutschland zu besiegen und nach einem Sieg zu behandeln wäre. Gerade die Propaganda ging nach seinem Dafürhalten zumeist völlig an der Gemüts- und Seelenlage der anvisierten Zielgruppe vorbei, da ihr als Grundvoraussetzung das richtige Verständnis bzw. die angemessene Kenntnis fehlte.
Dass nach Kriegsende dann nicht der Morgenthau- sondern der Marshall-Plan dem Wiederaufbau Deutschlands zugrunde lag, mag nicht zuletzt durch Haffners Anmerkungen hierzu inspiriert worden sein.
Doch seine Differenzierungen der damaligen Gemengelage deutscher Staatsangehöriger und seine pointierten Anmerkungen zu dem, was Naziführer zu Naziführern und Nazis zu Nazis machte, dürfte auch heute noch systemische Gültigkeit haben - nicht nur für die rechtsradikalen Parteien samt ihren jugendlichen Schlägerbanden, sondern auch für das Vorder- wie Hintergründige derzeit vorgeblich von einer Religion inspirierter Kriege. Ebenso wie seine Weiterungen für ein Danach. Demnach muss es das Ziel sein, alle verbrecherischen Kräfte dieser Art von Unpolitik schonungslos zu verfolgen, aber verführte und in Teilen ahnungslos gehaltene Zivilbevölkerungen zu schonen und für sie ein würdiges Morgen in petto zu haben. Das setzt jedoch in jedem Fall eine allem Aktionismus vorausgehende, allen Bevölkerungsgruppen zugewandte Analyse voraus, die nicht nur die Eigeninteressen sich etwaig damit befassender Alliierter im Auge hat.
Damals so schwierig wie heute - das Buch als mahnender Zwischenruf aus der Vergangenheit heute kaum weniger wichtig als damals.