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Jean Baptist Warnke ist stellvertretender Diplomat in Lima. Ein Mann ohne Eigenschaften, den weder seine Arbeit noch das Zusammenleben mit Frau und zwei Kindern wirklich berührt. Ein ritualisiertes Leben, zu dem auch die regelmäßige Zeitungslektüre in einem Café gehört. Dort trifft Jean jedoch eines Tages auf die Studentin Malena - mit verheerenden Folgen. Als es bei einem Empfang in der japanischen Botschaft zur Geiselnahme kommt, fragt sich Den Haag, warum keiner aus der niederländischen Botschaft unter den Gästen vertreten ist ...
Das historische Ereignis der Geiselnahme in Lima, die erst nach 126 Tagen im April 1997 durch einen Angriff von peruanischen Elitesoldaten beendet wird und dabei 17 Todesopfer forderte, setzt den Fixpunkt für "Gnadenfrist", einer wahrhaft meisterlichen Erzählung von Arnon Grünberg.
Im Gegensatz zum Handlungsträger seines vorangegangenen Romanes "Der Vogel ist krank" lässt einen Jean Baptist Warnke trotz seiner äußerst gedämpften Anteilnahme am Leben nicht kalt, bleibt soviel Raum zwischen den Zeilen, das seine Existenz glaubwürdig und auch nachvollziehbar scheint.
Entscheidend für die Qualität dieses Textes ist die Stringenz seines Aufbaus - jeder Absatz sitzt, kein Wort zuviel oder zuwenig, wechseln die lakonischen Sichten auf eigene Unbefindlichkeiten mit dem Leben außerhalb ab. Da der Protagonist per se distanziert ist, enthalten sich auch die Beschreibungen jeder kommentierenden Wertung. Von diesem Grundton eines Basso continuo heben sich die für Jean doch eigentlich nur auf seine Person bezogenen Beobachtungen immer weiter ab, erzeugen so eine Spannung, die den Leser selbst zum gebannten Beobachter situationskomischer Verwicklungen mit tragischem Ausgang macht.
Hut ab! Nicht zuletzt auch vor der Leistung des Übersetzers Rainer Kersten.
Die zusätzlich ans Ende gefügte kleine Reiseimpression "Der Duft des Glücks" von Arnon Grünberg wäre gar nicht mehr zur Auffüllung der Seitenzahl nötig gewesen - aber schaden tut sie auch nicht, greift sie das Thema doch noch einmal aus einer direkteren Sicht des Autors auf.
Weitere Besprechungen zu Werken von Arnon Grünberg alias Marek van der Jagt siehe:
Marek van der Jagt: Amour fou (2002)
Arnon Grünberg: Gnadenfrist (2006)
Arnon Grünberg: Der Heilige des Unmöglichen (2007)
Arnon Grünberg: Tirza (2008)