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Herr Dr. Nagel war ein sehr unnahbarer, prinzipienstrenger Mann, sein
Sohn Laszlo dagegen bezeichnete sich stets als "Glückspilz".
Mit zwanzig schwängerte er die sechzehnjährige Dalia, heiratete
sie, schloß ein Jahr später sein Jurastudium ab und bekam einen
Posten im diplomatischen Dienst Ungarns. Als Anerkennung machte ihm Herr
Dr. Nagel ein "imposantes Geschenk: ein Auto." Nur kurze Zeit später
stirbt Dalia. Laszlo ist zu schnell gefahren. "Dalias Tod machte Laszlo
Nagel für eine Weile sehr traurig. Aber dann schlug sein Naturell
wieder durch. Er konnte es nicht ändern, er liebte das Lebendigsein."
Laszlo nimmt alsbald seinen kleinen Sohn Peter für einige Zeit mit
nach Berlin. Es ist das Berlin nach der Machtübernahme durch Hitler.
Für Peter wird jeder Tag zu einem rauschenden Fest voller Illusionen.
Laszlo überschüttet ihn mit seiner Vaterliebe, die "nur"
eines nicht kennt: Die Offenlegung der wahren Verhältnisse. So will
Peter endlich mal einen dieser "bösen Juden" kennenlernen -
dabei ist er nach Lesart der Nazis selbst ein "Halbjude". Schließlich
muß Peter wieder zu seinem Großvater zurückkehren. Er
lebt nur noch für die allwöchentlichen Briefe aus Berlin, die
er ebenso regelmäßig beantwortet. Als Peter kurz vor Ende des
Krieges heimlich in das Arbeitszimmer Dr. Nagels geht und entdeckt, daß
die überschäumenden Briefe der letzten Monate allesamt vom Großvater
formuliert wurden, revoltiert er nicht, sondern beantwortet weiterhin die
Briefe...
Irene Dische erzählt einmal mehr von einer "Frommen Lüge".
Die Liebe zwischen den Menschen aus drei Generationen ist eine "unausgesprochene
Liebe" und hat etwas tragisch Papierenes an sich - wie die Briefe Laszlos
an den Sohn Peter. Mehr Schein als Sein. In ihrer Diktion ist Irene Dische
beherrscht, ja ausgesprochen kühl - auch bei den Schilderungen des
trügerisch lebenslustigen Miteinanders von Laszlo und Peter in Berlin.
Der Satzbau ist zwar einfach gehalten, aber die Wortwahl, welche die Sicht
des kleinen Peters vermitteln soll, geriet mehr als anspruchsvoll. Zudem
ist Peters Sicht von schicksalhaften Wendungen geprägt, auf die er
als Kind keinen Einfluß hat und die sich ihm nicht in ursächlichen
Zusammenhängen erschließen. Aber nur wer bereits in kausalen
Zusammenhängen denken und den historischen Kontext mitzuempfinden
vermag, wird hiervon berührt und sich am Ende viele Fragen stellen
können - und müssen; zum Beispiel auch: Warum erweist sich der
dröge Großvater auf einmal als einzig empfindsam verläßliche
Instanz für Peter? Das lapidare Erklärungsfragment zuletzt, daß
Laszlo wegen der Unterstützung flüchtender Juden hingerichtet
wurde, erklärt nur wenig. Zur Identifikation bietet sich keiner der
drei an. Peter, Laszlo und der Großvater sind lediglich in groben
Strichen skizziert, füllen eng begrenzte Funktionen innerhalb einer
Studie aus. Für erwachsene Dische-Fans sicher von großem Reiz
- aber ist das ein Buch für junge Leser? Gar ab 12 Jahre? Daß
Irene Dische erzählen kann, steht außer Zweifel. Auch der Erzählgrund
ist triftig. Aber der kühl prosaische, meist nur von Andeutungen anstelle
von Entfaltungen lebende Erzählstil wird bestenfalls bei Jugendlichen
des engsten Betroffenenkreises unmittelbaren Widerhall finden.
Weitere Besprechungen zu Werken von Irene Dische siehe:
Irene Dische: Fromme Lügen
Irene Dische: Zwischen zwei Scheiben Glück