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"...durch Intelligenz hat man sich schon immer verraten.."
Siebenmal entlarvt Irene Dische, was sich hinter scheinbar freundlich
gemeinten FROMMEn LÜGEN verbergen kann. Auslassungen, Halbwahrheiten,
oder selbstbeigebrachte Verdrängungen schützen keine und keinen
vor der früher oder später wirksamen Mechanik unseres Alltags.
Der nach der Verwirklichung von Utopien oder göttlicher Gerechtigkeit
strebende Mensch würde sicher der Verlockung angesichts dieser Real-Grotesken
nicht widerstehen können, und einmal mehr eine Agit-Prop-Predigt umsonst
vom Stapel lassen. Die Autorin aber ist im besten Sinne prosaisch und versucht
unparteiisch Opfer und Täter dieser Sprachlosigkeiten vorzustellen.
Sie kennt und erkennt die Motive beider Seiten zu gut, alsdaß sie
für die eine oder andere Seite Partei ergreifen könnte. Statt
nun unentwirrbare Geflechte mit dem Schwert der Rührseeligkeit zu
durchtrennen, übt sie sich in der Zurückhaltung einer diskreten
Beobachterin, die ihren Blick mit der nüchternen Genauigkeit einer
Pathologin auf erkrankte oder gewaltsam beschädigte Organe lenkt.
Intelligenz, d.h. Ein-Sicht haben, bedingt ein hohes Maß an Mit-Gefühl
für ihre Protagonisten, da sie sonst nicht so überzeugend vorgeführt
werden könnten. In dem melting-pot New York aufgewachsen, das über
die angebliche Überfremdung Berlins oder der BRD nur lachen kann,
selbst katholisch und die Eltern mit deutsch-jüdischer "Vergangenheit",
hatte Irene Dische die Möglichkeit Dinge einzusehen und zu beschreiben,
die den Meistern der frommen Lüge, nämlich uns Deutschen, die
Haare zu Berge stehen lassen. So darf man das doch nicht sagen, und erst
recht nicht über die Juden! Dabei ist gar keine spezifische Gruppe
gemeint, sondern jede/r, auf den diese Verhaltensschablone passt.
Und wer über Selbstironie verfügt, wird sich der Beschreibung
tragikomischer Einsamkeiten kaum ohne ein Schmunzeln entziehen können,
denn Intelligenz hat eben nichts mit verlogenem Pathos und den daraus erwachsenden
frommen Lügen zu tun.
Prosit Neujahr!
Weitere Besprechungen zu Werken von Irene Dische siehe:
Irene Dische: Fromme Lügen
Irene Dische: Zwischen zwei Scheiben Glück