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Uwe Britten

Straßenkid

Thienemann Verlag, Stuttgart 1997. 156 Seiten. ISBN: 3-522-16996-4, >>> Amazon
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Immer dieses Gemeckere. Christian soll mit dem Rauchen aufhören, Hausaufgaben machen und seine Dreckwäsche wegräumen. Was geht es die Mutter an, ob und wieviel er mit 13 Jahren raucht? Die Dreckwäsche ist doch nur ein Vorwand für sie, um in seinem Zimmer rumzustöbern. Und das blöde Lernen für die "Scheißschule"? Sowieso der reine Schwachsinn! Für seinen Berufswunsch 'Pilot' würde der Hauptschulabschluß nicht reichen. Und LKW-Fahrer wie sein Vater will Christian nicht werden. Der ist nur am Wochenende da, und dann hört das Streiten gar nicht mehr auf.
Als Christian wie immer nach so einem Krach am Bahnhof steht, ergibt sich eins aus dem anderen. Er lernt einen Mann aus Dortmund kennen. In so einer Großstadt war Christian noch nie, und der Mann fragt ihn, ob er mitwill. Nun würde er wieder nicht rechtzeitig zum Abendbrot zu Hause zu sein und am nächsten Tag wieder ohne Hausaufgaben dastehen.
Christian wird zum "Straßenkid" und landet am Ende in Berlin. Da hat er sich dann schon ein Jahr lang nicht mehr bei seinen Eltern gemeldet.
Der Autor Uwe Britten hatte zu diesem Thema bereits 1995 eine Reportage verfaßt. Er lebte sechs Wochen auf der Straße und kam so in engen Kontakt mit Berlins Straßenkindern. Der scheinbar banale Fluchtauslöser Christians korrespondiert denn auch mit denen anderer Kinder. Vom völligen Verlassensein bishin zum Kindesmißbrauch reicht das Spektrum. Da aber keiner wirklich über seine Probleme reden will, macht das untereinander keinen Unterschied. Man hat einen Überlebenskodex, der gewisse Zweckbündnisse erlaubt, aber ansonsten muß jeder selbst sehen, wie er durchkommt. Alkohol und andere Drogen werden da schnell zu einem notverdrängenden Ersatz, der neue Nöte schafft. Britten schildert sehr anschaulich von der alltäglichen Unsicherheit, sich genügend Essen und Trinken und einen ungestörten, im Winter möglichst warmen Schlafplatz zu besorgen. Wegen Verletzungen zum Arzt oder ins Krankenhaus zu gehen, kommt nicht in Frage: Es würden ja Name und Adresse verlangt. Dazwischen blitzt aber auch immer wieder eine gewisse Sympathie für diese Art zu leben auf. Frei wie ein Vogel, vogelfrei vermögen sich diese Kinder auf das Allernötigste zu beschränken und stehen damit in einem eklatanten Widerspruch zur reinen Konsumgesellschaft. Sie entwickeln Überlebensstrategien, die zuweilen kriminell, aber auch von anarchischer Kreativität sind. Und ihr distanziertes Aufeinanderzugehen läßt Raum für gegenseitigen Respekt und Zärtlichkeit. Dennoch wird sich auch der faszinierte jugendliche Leser fragen, ob sich so ein Leben im Falle Christians lohnt. Der Überlebenskampf auf der Straße ist kaum weniger zwanghaft wie der Gang zur Schule.
Die in der Geschichte erwähnten Anlaufstellen für Straßenkids, wo unaufdringlich gesprächsbereite Sozialarbeiter eben nicht nur eine Dusche und belegte Brötchen anbieten, haken sich mit ihren Auswegmöglichkeiten fest. Das Ende ist offen.
Uwe Britten hat hier bravourös eine Gratwanderung bewältigt und ein Stück beinharter Realität in eine ansprechende Geschichte verpackt, die Spuren legt - auch für Erwachsene.

Weitere Besprechungen zu Werken von Uwe Britten siehe:
Uwe Britten: Straßenkid (1997)
Uwe Britten: Ab in den Knast (1999)

Buechernachlese © Ulrich Karger


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