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Der liebevoll in Leinen ausgestattete Band mit elf bisher unveröffentlichten Erzählungen aus dem Nachlaß Heinrich Bölls löst zwiespältige Gefühle aus. Einerseits ist es doch sehr spannend, bis dato verborgen Gebliebenes aus den Jahren 1936 - 1951 ans Tageslicht gefördert zu sehen - noch dazu, wenn sich das Frühwerk nach seinem kritisch engagierten Gehalt durchaus mit dem uns längst bekannten Werk Heinrich Bölls
messen lassen kann. Selbst in dem einzigen Vorkriegstext des einst 19-jährigen finden sich neben den üblichen Sturm-und-Drang-Schwächen eines
jugendlichen Autoren schon kraftvolle, dem Leben abgeschaute Bilder, die das später bewiesene Talent unterstreichen. Andererseits ist nicht
einzusehen, warum den Texten nur in der Zeichensetzung editorische Nachbereitung zuteil wurde, wird doch im Nachwort sogar extra betont, daß sich
Heinrich Böll nie gegen eine konstruktive Einmischung durch das Lektorat gewehrt, sondern sie stets ausdrücklich erwünscht hat. So kommt
es einer Denunziation gleich, wenn sich die Leser u.a. mit grammatisch halbgaren Sätzen und einem sich in einem Absatz dreimal wiederholenden
rheinisch relativierenden "fast" konfrontiert sehen müssen.
In Paperback, als preiswerte "Werkausgabe" gedacht, wäre dieser Eindruck abzumildern gewesen. Indes: Nicht wenigen dürfte es ein Trost sein, daß selbst einem anerkanntermaßen Großen der deutschen Literaturgeschichte das mehrmalige Durchlesen eines Textes vor Drucklegung nicht erspart werden durfte.
Also: Wer diese Texte Heinrich Bölls als eine Dokumentation eines "work in progress" zu schätzen weiß, wird ganz bestimmt seine helle Freude daran haben. Nicht zuletzt auch, weil sie im Gedenkjahr 1995 von beklemmender Aktualität und alles andere als langweilig sind.
Weitere Besprechungen zu Werken von Heinrich Böll siehe:
Heinrich Böll: Der blasse Hund (1955)
Elsbeth Zylla (Hrsg.): Heinrich Böll - Lew Kopelew. Briefwechsel (2011)