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Textenetz | Kommentar: Rechnung ohne Wirt


Kommentar von Ulrich Karger zu Levi, Zachäus und die kirchlichen MitarbeiterInnen abgeforderte Spendenbereitschaft.

Erstveröffentlichung: Religion heute 17 / März 1994



Der Gang durch die Institutionen, Rudi Dutschke sei's geklagt, färbt mehr auf die Gehenden (oder sollte man besser sagen: auf die eilig Dahinwehenden) denn auf die Institutionen ab. Auch manch Institution der evangelischen Kirche verfügt über erstaunlich große Widerstandskräfte, die den eigentlich dem Christentum innewohnenden Idealismus immer wieder auf den vorgeblichen Boden der Realität werfen. Für den Schleifvorgang auf den bis zur Unkenntlichkeit kleingewordenen "kleinsten gemeinsamen Nenner" wird dann oft und gern das Bild von "Gottes langsam mahlenden Mühlen" strapaziert. Eine längst sakrosankte Blasphemie, weil: Was oft wiederholt wird, doch auch "irgendwie" wahr sein muß!
Die Konsistorien sind z.B. in sich geschlossene Verwaltungs-"Einheiten", die eigentlich auf das Votum, d.h. auf die Richtlinien der demokratisch gewählten VertreterInnen in den Synoden angewiesen sind. Diese scheinbar pragmatische Zuordnung war aber offenbar von vorneherein zum Scheitern verurteilt, ... auf ein Scheitern angelegt?
Ein kompetenter Verwaltungsbeamter hat kaum Zeit für ehrenamtliche Zahlenspiele und noch weniger Zeit für gelebtes Christentum.
Kompetente Verwaltungsbeamte müssen also in der Regel wohlbestallte, d.h. gutbezahlte Fachkräfte des Konsistoriums aber damit nicht zugleich Fachkräfte der sie beauftragenden Kirche resp. Synode sein.
So nimmt es nicht weiter wunder, daß nicht die Kirche das Sein der Konsistoriums als vielmehr das Konsistorium das Sein der Kirche bestimmt. Tatsächlich errechnet das Konsistorium zu Berlin und Brandenburg nun schon seit Jahren mit steter Regelmäßigkeit ein riesiges zu erwartendes Haushaltsloch in die Kirchenkasse, um dann mit ebensolcher Regelmäßigkeit ein Jahr später ein millionenfaches Plus zu registrieren. Die doch recht verhaltene Freude über dieses Plus bei der "Basis" erklärt sich aus den zuvor beschnittenen Stellenplänen, die am Ende des Jahres angeblich nicht mehr wieder zu ihren Gunsten zu verändern waren.
Für das Jahr 1993 wurde der Besitzstand der Berlin-Brandenburgischen Kirche mit gut 400000000,- (i.W. vierhundert Millionen) DM angegeben. Bevor ich nun einer (für die Kirche ja nicht unüblichen) theologischen Assoziation angesichts dieser Zahlen nachgebe, versuche ich nun meinerseits in den Mokassins der von mir kritisierten Partei (=Teil der Kirche?) zu gehen und ihnen ein Gespräch über Zahlen anzubieten.
400 = 400 scheint als rechnerischer Terminus von geradezu lächerlicher Einfachheit zu sein, ebenso: 200 + 200 = 400.
Aber das Lachen wird uns noch vergehen, denn wir leben nicht in einer der Welt der Abstraktion. Die 400 auf der einen Seite weisen zwar denselben Betrag wie auf der anderen Seite aus, sind aber doch nicht dieselben Zahlen. 400 DM zum Sparen sind doch nicht dasselbe wie 400 DM zum Ausgeben, also ist 400 nicht unbedingt gleich 400!
Zwischenfrage: Wieviel verdient ein Konsistorialpräsident? (Aus dem Westen, aus dem Osten?) Und wieviel würde wohl Jesus heute verdienen, nach welchem Tarif? Pardon, jedem das, was ihm oder ihr gebührt!
Hieran schließt sich nun meine theologische Assoziation an: Wer kennt nicht die neutestamentlichen Berufungsgeschichten um den Zöllner Levi und um den Zöllner Zachäus? Der Zöllner Levi hat seinen mit dem Ruch des Zweifelhaften versehenen Beruf aufgegeben, um Jesus schließlich mit Haut und Haaren nachzufolgen. Dieses Beispiel setzte eine hohe Hürde, über die kaum eine/r springen will - auch ich nicht! Dazu bin ich zu sehr deutsches Wirtschaftswunderkind, als daß ich, wie einst die Berliner KatechetInnen in der Nachkriegszeit, mein im Vergleich zum "Normallehrer" niedriges Einkommen auch noch am Feierabend erbetteln wollte. Nein, das geregelte Einkommen sei jedem gegönnt - auch dem Konsistorialpräsidenten und wenn er oder der Bischof dann 25% von meinem Weihnachtsgeld als Spende für die Brüder und Schwestern im Osten einbehalten will, dann will ich dazu nur die Gegenfrage stellen: wie oft passen meine verbliebenen 75% in seine hinein?
Nun denn, liebe Geschwister, Zachäus ist uns eben allemal näher. Aber obacht! Auch er hatte immerhin versprochen, alles zuviel eingenommene Geld vierfach zurückzugeben und die Hälfte seines Vermögens den Armen zu spenden.
Wieviel von dem gehorteten Vermögen der Kirche hat eine dunkle Herkunft? Bliebe da bei einer vierfache Rückgabe noch etwas auf dem Konto? Ich habe da meine nicht unbegründeten Zweifel!
Das eine Extrem, vertrauensselig und barfüßig im Sinne der Bergpredigt von Haus zu Haus gehen, ist vermutlich genausowenig durchzusetzen wie das andere Extrem, immer mehr Vermögen für eine immer kleiner werdende Kirchengemeinschaft zu horten, auf die Dauer Kirche nicht bestehen lassen wird.
Vielleicht fehlt den Verwaltungsbeamten im Konsistorium nur das richtige Wort für das Eigentliche in der Nachfolge Jesu?
Man sollte von ihnen fürderhin nicht Nächstenliebe, sondern eine (frühere?) Tugend der Kapitalisten abfordern, nämlich unternehmerisch kreativ Visionen zu entwickeln und voranzutreiben oder solche wenigstens nicht bürokratisch ängstlich abzublocken.
Auch wenn heute alle nur noch mit Milliarden hantieren (insbesondere unsere Staatsregierung), so wären doch die Hälfte von 400 Millionen ein kräftige Konjunkturspritze in Sachen Vertrauen auf (Gottes) Zukunft. Damit könnte 100% Arbeit schon jetzt 100% bezahlt und noch manch anderer lebensnotwendiger Dienst für die "Armen" geschaffen oder wenigstens "übers Jahr" am Leben erhalten werden.
Andernfalls will ich gar nicht wissen, wie sich so manche/r das Leben eines Überlebenden im Bunker (oder dem in Berlin geplanten 48-Millionen-Repräsentativbau für den EKD-Bevollmächtigten) vorstellt, wenn er zuviel Angst haben muß, auch nur die Nase in den unheiligen Alltag zu stecken.

Ulrich Karger




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