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Jan Oltrogge beginnt seinen Zivildienst in einem Altenheim. 1985 hat er im Laufe der seinerzeit noch geforderten 20 Monate rund 60 Frauen zu betreuen, Sterbefälle und Neuzugänge eingerechnet. Allesamt Witwen. Und all diese Witwen stehen unter dem Einfluß irgendeines Mangels. Mit dem jeweiligen Mangel sind aber nicht ihre eigenartigen, bis ins infernalische gesteigerten Ausdünstungen gemeint. Das hieße für Jan die Ursache mit der Wirkung zu verwechseln. Aber das durchschaut eben nur einer, der Begabung sowie Berufung zum Witwentröster hat.
'Der Witwentröster' ist das bemerkenswert unterhaltsame Romandebut von Marc Wortmann. Trotz einiger stilistischer Gewolltheiten gelingt ihm hier eine Gratwanderung, die von der ersten Seite an zu fesseln vermag. Die offenkundig auf eigene Erfahrung gründende Authentizität vom tristen Leben und Sterben im Altersheim wird durch den in Szene gesetzten Witwentröster satirisch zugespitzt, ohne dabei die Alten noch den 'jungen Mann' der Lächerlichkeit preiszugeben. Ihm ist zwar mit der Diagnose 'Helfersyndrom' längst nicht mehr beizukommen, überschätzt er doch seine autoritäre Anteilnahme als einen Akt von Geben und Nehmen, aber was die Schwestern in ihrer Routine versagen müssen, findet bei ihm Erfüllung. Unaufhörlich fordert und entzieht er sich, bis verborgene Geschichten sichtbar werden und die Witwen wieder mehr Lebensfreude entwickeln. Dennoch mündet es am Ende in eine Katastrophe. Dennoch wird der Witwentröster nicht aufgeben. Und im besten Fall werden sich nun auch die Leser nicht mehr scheuen, hinter dem plastisch vor Nase geführten Gestank des Alters nach den Spuren gelebten Lebens zu suchen.