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"Manche Männer können sich nicht daran erinnern, wo sie
eben noch ihre Frau oder ihren Regenschirm gelassen haben. Ich dagegen
kann nicht vergessen. Mein Verstand (..) hortet alles und lagert es in
meinem Schädel ab."
Vor dieser Erläuterung seiner besonderen Eigenschaft, beschreibt
JOEY BLUEGLASS en detail seine große Liebe und ihn übertreffende
Gegenspielerin Florence, und auch die letzten Seiten dieses Buches sind
Florence gewidmet - da allerdings war Joey bereits gehängt worden.
Dazwischen sind die Erlebnisse eines Hochstaplers mit Sinn für Berufsehre
ausgeführt, der sich nicht nur perfekt an alles erinnern, sondern
dank einer besonders raffinierten Methode auch so manchen Ballast perfekt
vergessen kann.
Das Garn vom betrogenen Betrüger, der zugleich ein Frauenheld
ist, spinnt der Londoner Chris Wilson im England des vorigen Jahrhunderts.
Mit einem geradezu blasphemisch entlarvenden Zynismus stellt er seinen
Protagonisten u.a. auf eine Stufe mit Charles Dickens - nur Joey schickt
gleich fingierte Bettelschreiben an seine zahlungskräftige Leserschaft,
anstatt ihr über den Umweg eines Verlegers einen langatmigen Romans
zuzumuten. Daß Joeys Herkunft alles andere als auf Rosen gebettet
war, versteht sich von selbst, dient aber nicht zur Entschuldigung - in
der Mitte des Buches hat er das außerdem längst vergessen, aber
am Ende, nach seiner Hinrichtung ..., das sei hier noch nicht verraten.
JOEY BLUEGLASS ist ein Werk, das lust- und kunstvoll dem frönt,
was Romane heutiger Zeit kaum noch leisten: Kurzweilig zu erfinden und
zu schwindeln, das sich die Balken biegen. Ein phantastisches Lügenmärchen
also, dessen satirische Kraft an Swift erinnert und in seiner Frivolität
Maupassant noch übertrifft.