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DAS BUCH DER BÜCHER ist der Ehrentitel der Bibel und nun auch der
Titel eines sehr weltlich gehaltenen Romans. Dennoch ist dieser Titel nicht
leichtfertig oder gar in blasphemischer Absicht gewählt worden, auch
wenn DAS BUCH DER BÜCHER in erster Linie die Kehrseite frommen Glaubens
auffächert. Theologisch erwiesen ist, daß in der Bibel die Glaubenserfahrungen
mit Gott im Laufe vieler Jahrhunderte von vielen, meist unbekannten Menschen
bezeugt wurden. Genauso erwiesen ist aber auch die Tatsache, daß
trotz jahrtausende alter Erkenntnisse vom besseren, weil 'Gott gefälligen'
Leben die Gewalttaten gegen sich und die Mitwelt keineswegs abgenommen
haben. Aus Gewohnheit ist noch lange keine Logik abzuleiten, also hinterfragt
Edward Whittemore diesen eigentlich chaotischen Befund der Menschlichkeit
mit der Vorstellung, daß die ältesten auffindbaren Schriften
nicht etwa 2000 sondern 3000 Jahre alt sind - eingeschlossen des Neuen
Testaments, was theologisch ja eine Unmöglichkeit wäre. Hinzu
kommt, daß diese Urbibel offenbar von einem bettelnden Blinden verfaßt
wurde, der sie wiederum einem lediglich des Schreibens mächtigen Schwachsinnigen
diktierte. In Jerusalem, dem Kulminationspunkt des Romans, verschwindet
mancher und manches, aber die Freude am Erzählen hält die Erinnerung
am Wesentlichen wach, und so ist es nicht weiter verwunderlich, daß
sich viele auf die Suche begeben und höchste Preise für das Auffinden
dieser Schrift einsetzen: Ein Zar sein Zarenreich, die anderen zumeist
ihr Leben.
Ein Frau meinte dazu: "Warum gibt es solche Hirngespinste, denen
ihr Männer hinterherlauft, und warum laßt ihr euch von ihnen
verführen? Wieso ist es immer dasselbe mit euch? Ihr hört von
diesem verdammten Buch und dreht durch - alle, ohne Ausnahme!"
Heutzutage einen Menschen mit der Auseinandersetzung um Gott und die
Bibel hinterm Ofen hervorzulocken, bedarf es schon einiger Kunstfertigkeit,
eine provokante These allein reicht dazu nicht aus. Zum einen ist es,Gott
sei Dank, kein rechthaberisch belehrendes Sachbuch, sondern ein Roman.
Ein Roman, der alle Vorzüge seiner Gattung aufweist. Mit jedem Kapitel
wird eine neue Person seiner Herkunft und Zielsetzung nach vorgestellt,
um später mit ein, zwei oder allen anderen Personen in eine enge oder
lose Verbindung gesetzt zu werden. Das Aufeinandertreffen dieser Menschen
geht nie spurlos vorüber, macht das Ende des Romans völlig plausibel.
An Zufälligkeiten glaubt da keiner mehr. Die Menschen aus dem romantisch-exzentrischen
19. Jahrhundert mögen zu Anfang des 20. Jhds. - festgesetzt auf das
Jahr 1918 - allesamt sterben, aber sie sind die Wegbereiter unseres Jahrhunderts,
das geradewegs in die Apokalypse zu führen scheint. Der Wandel dieser
Epochen wird an den handelnden Personen und nicht zuletzt an der Sprache
des Erzählers sichtbar.
Bissig wie Bernhard Shaw deckt er die Lächerlichkeit menschlichen
Ehrgeizes auf, um schließlich den gegenwärtigen Irrwitz mit
poetischer Träumerei gegenzuzeichnen.
Edward Whittemore umwebt seine Leserschaft wie ein orientalischer Märchenerzähler,
hält sie in seinen Fäden bis zum Schluß gefangen - nachlesbar
in einem Buch der Bücher.