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Ein kleines Mädchen aus Bassindale Estate verschwindet spurlos. Ein entlassener Sexualstraftäter wird in eben diese heruntergekommene Siedlung einquartiert. Ein Gerücht verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und die seit langem aufgestaute Wut über die schlechten Lebensbedingungen findet endlich ein Ventil. Sind es zuerst nur besorgte Mütter, die einen Demonstrationsmarsch vor das Haus des Exsträflings organisieren, übernehmen bald soziopathische, nur auf Randale bedachte Jugendliche die Regie - das Ergebnis: Drei Tote und zahllose Verletzte. Und von dem vermißten kleinen Mädchen fehlt nach wie vor jede Spur.
Mit 'Der Nachbar' legt Minette Walters erneut einen Kriminalroman der Extraklasse vor. Ohne sich wie andere auf einen längst eingeführten und von selbst laufenden, alles durchschauenden Helden zu stützen, überrascht diese Autorin immer wieder aufs Neue mit ihrer Personage und deren profund austarierter Psychologie, die stets auch die anschaulich beschriebenen Schauplätze des Geschehens widerspiegeln. Diesmal setzt sie gleich mit dem grausamen Fazit der gewaltätigen Auseinandersetzungen vor dem besagten Haus ein und stellt die Siedlung Bassindale Estate gleichsam aus der Vogelperspektive vor. Eine Art Nachrichten-Tableau, wie es der passionierte Zeitungsleser zur Genüge kennt. Die handelnden Personen werden nacheinander eingeführt, ohne dass sich eine von ihnen gleich als heldenhafte Identifikationsfigur anbietet. Ganz normale Leute, ein Mix aus engagiert, naiv, störrisch, dumm und lebensklug. Erst mit der Zeit, wachsen sie einem ans Herz, und zwar gerade auch jene, von denen man es anfangs nicht erwartet hätte. Das ermöglicht die ganz konkrete Irritation in der scheinbar so gefahrlosen Leseecke und konfrontiert einen selbst mit den Auswirkungen unbedachter Vorurteile. Dummheit - ein unsterbliches, schicksalhaftes Phänomen? Selten wird das Für und Wider dieser Ansicht unter die Haut gehender durchdekliniert als in diesem Roman. Entsprechend dann auch die Volte, mit der die Fahndung nach dem vermißten Mädchen beendet wird. Was soll man noch sagen: Spannend bis zur letzten Seite bleibt einmal mehr das Erstaunen über die beneidenswerte Erzählkraft dieser 'Queen of Crime'.
Weitere Besprechungen zu Werken von Minette Walters siehe:
Büchernachlese-Extra: Minette Walters