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Jinx Kingsley liegt bewußtlos auf dem leeren Rollfeld eines ehemaligen
Flughafens. Offenkundig wurde sie aus ihrem Wagen geschleudert, ehe das
Fahrzeug gegen das weit und breit einzige Hindernis geprallt war. Ebenso
offenkundig scheint die anerkannte Fotografin und Tochter eines skrupellosen
Immobilienhais mit Selbstmordabsichten den Betonpfeiler angesteuert zu
haben. Viel Prominenz, darunter zwei Minister waren zu ihrer Hochzeit eingeladen.
Dann hatte Leo plötzlich erklärt, er wolle lieber Meg Harris,
die beste Freundin von Jinx heiraten. Es dauert knapp zwei Wochen, bis
Jinx aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht. Abgesehen davon, dass die
zehn Tage vor ihrer beinahe tödlichen Fahrt wie ausgelöscht sind,
geht es ihr nun wieder erstaunlich gut. Und was die Selbstmordabsichten
angeht: Noch nie hatte sie darin gedacht, sich umzubringen - und schon
gar nicht wegen der geplatzten Hochzeit mit Leo. Die Polizeibeamten bezweifeln
diese Aussage allerdings. Die Ermittlungen ergaben, dass sie bereits einen
Tag vor ihrem Unfall einen weiteren Selbstmordversuch unternommen hatte.
Zudem ist allgemein bekannt, dass der erste Ehemann von Jinx vor zehn Jahren
einem Mord zum Opfer gefallen war. Die Umstände dieses Verbrechens
konnten nie vollständig geklärt werden. Damals litt Jinx unter
heftigen Depressionen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie selbst als
eine der Hauptverdächtigen galt - und ihren Vater schützen mußte.
Für Jinx kam nämlich nur er als Täter in Frage. Und wo sind
Leo und Meg abgeblieben? Von diesem Paar fehlt noch jede Spur.
Minette Walters zum Vierten. Auch diesmal ist das eigentliche Feld
kriminalistischer Untersuchungen wieder denkbar klein. Der Titel DUNKLE
KAMMERN verweist auf Jinx, die sich und ihrem Gedächtnis auf die Spur
kommen muß und sich zugleich mit Händen und Füßen
dagegen wehrt. Dem Millieu der englischen Upperclass ist die Autorin gleichermaßen
treu geblieben. Einmal mehr gelingt es ihr, diesem von Agatha Christie
scheinbar längst ausgereizten Rahmen Interesse abzugewinnen. Dazu
muß man ihn allerdings mit viel Sinn für Ironie und schwarzem
Humor quer gegen den Strich bürsten und den stereotypen Erwartungshaltungen
die Zunge zeigen.
So klebt auch die Polizeiarbeit diesmal nicht nur an
einem Helden, sondern ein glaubwürdig hierarchisch gegliedertes Team
muß sich hier von einer Sackgasse in die nächste nasführen
lassen. Ebenfalls gelungen der Kunstgriff, den übermächtigen
Vater von der ersten bis zur letzten Seite mit einer geradezu erdrückenden
Präsenz auszustatten. Dabei kommt Adam Kingsley erst auf der letzten
Seite und dann auch nur hinter geschlossenen Türen persönlich
zu Wort. Wenngleich dieser sehr verwickelte Fall schließlich seinen
überraschenden, im Nachhinein aber durchaus plausiblen Abschluß
findet, bleibt ein Rest an Zweifeln angebracht. Man muß nicht erst
unter Amnesie gelitten haben, um zu wissen, wie sehr doch die Wahrheit
vom jeweiligen Auge des Betrachters abhängig ist. Gerade aber diese
Erkenntnis gibt diesem weiteren Spitzenkrimi von Minette Walters den letzten
Kick.
Weitere Besprechungen zu Werken von Minette Walters siehe:
Büchernachlese-Extra: Minette Walters