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Wenn Außenseiter einen Blick aufs Eingemachte werfen, ist das meist erfrischend - und zugleich riskant.
"Die Bibel - Eine Biographie" hat Martin Urban zum Autor, zu dem es im Klappentext als Erstes heißt, dass er einer Theologenfamilie entstammt und als Diplom-Physiker gearbeitet hat. Wenn nun jemand einer Chirurgenfamilie entstammte und ansonsten keine weiteren Qualifikationen aufwiese, würde ihm wohl keiner seinen Blinddarm anvertrauen. Doch Urban hat 1968 auch das Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung begründet und bis 2001 geleitet, mithin also eine langjährige Praxis, wie man dicke Bretter bohrt und Themen möglichst objektiv und fundiert recherchiert.
Sich die Bibel als ein "Geschöpf" mit Familiengeschichte samt Eltern (Gott-Vater und Heiliger Geist) und Ahnen (altorientalische Gottheiten) vorzustellen, bildet den gelungenen Auftakt dieses Buches, legt Urban damit doch sachgemäß die Fäden zu Entwicklungs-, Deutungs-, Wirkungs- und Nebenwirkungsgeschichte(n) jenes "Buches der Bücher" aus.
Nach dieser "Vorgeschichte" wird in den fünf Folgekapiteln "Das Alte Testament", "Jesus und das Neue Testament", "Die Geburt der Bibel", "Die Bibel in ihren jungen Jahren" und zum Abschluss die "Zeit der Differenzierungen" erörtert.
Die im umfangreichen Anhang genannten 114 Quellen dürften auch von Fachleuten als seriös eingestuft werden. Am meisten zitiert Urban u.a. aus den einschlägigen Werken von Jan Christian Gertz, Othmar Keel, Ulrich Wilkens, Israel Finkelstein & Neil A. Silberman und Karl Heussi.
Der Autor nutzt einerseits theologische Mittel wie die historisch-kritische Literarkritik, um alttestamentliche Texte zu untersuchen, lässt diese aber auch mit jüngsten Erkenntnissen von Archäologen und Naturwissenschaften korrespondieren. Das klärt schnell, dass es in der Bibel nicht um mess- und belegbare Wirklichkeiten sondern immer nur um die Deutung von sich im Laufe der Jahrhunderte ändernden Glaubenswahrheiten geht.
Urban betont des Öfteren, nicht gegen die Bibel und das Christentum anschreiben zu wollen und merkt z.B. zu den Paulinischen Versen aus dem 1. Kor. 13, 9 f. an: "Um solcher Sätze willen lohnt es sich, wie ich meine, die Bibel zu lesen."
Doch angesichts seiner sehr nahen und gut recherchierten Betrachtung wird es für ihn unvermeidlich, immer wieder auch den Finger auf die Wunden amtskirchlichen Missbrauchs zu legen. So erhellt sich u.a. der in der Schule gelernte Verlust der antiken Bibliothek in Alexandria lediglich als Beginn einer ersten, Jahrhunderte währenden, systematischen Bücherverbrennung, welche die Christen vor "Zauberbüchern" schützen sollte und damit die Bildung Europas nach Null tendieren ließ - Stichwort "Finsteres Mittelalter". Für die jüngste Gegenwart hingegen wurden und werden für Urban solche Würdenträger wie der kürzlich in den Ruhestand getretene evangelische Bischof Huber und der immer noch amtierende Papst zum Beweggrund, wonach immer mehr Intellektuelle die Kirchen verlassen und fundamentalistischen Frommen das Feld räumen. Das, was Urban hierzu an Fakten und Äußerungen zusammenträgt und zuvor nicht immer das Licht einer größeren Öffentlichkeit erreicht hat, ist in der Tat haarsträubend.
Dies steht im fundamentalen Gegensatz zu Urbans Einsicht: "Nur ein differenzierendes Verständnis des ‚Buches der Bücher' ermöglicht eine Emanzipation von diesem ‚finsteren Mittelalter' in uns."
Die Bibel "richtig" zu deuten, setzt ihre nachhaltige Kenntnisnahme voraus. Hierfür gibt Urban in eingängiger und durchaus unterhaltsamer Form viele Anstöße, die breite Beachtung verdienen - allein schon um jene in Sonntagsreden immer wieder geforderte Steigerung bundesdeutscher Bildung voranzutreiben.