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Eine der sinnfälligsten Einrichtungen der Frankfurter Buchmesse
ist die jeweils wechselnde thematische Schwerpunktbestimmung zugunsten
eines Landes. Dieses Jahr fiel die Wahl auf unseren Nachbarn Niederlande.
Obwohl nur einen Grenzstrich von uns entfernt, wären den meisten ohne
das "Literarische Quartett" noch nicht einmal Autorennamen wie Cees Nooteboom
oder Harry Mulisch geläufig. Es gilt Versäumtes endlich nachzuholen!
Unter der Herausgeberschaft von Carel ter Haar legt der Suhrkamp Verlag
eine pralle Anthologie vor, die das letzte Jahrhundert moderner niederländischer
Erzählkunst Revue passieren läßt.
Die älteste Geschichte
aus dem Jahre 1910 stammt von Louis Couperus (1863-1923), die jüngste
aus dem Jahre 1992 von Rogi Wieg, Jahrgang '62. Von den 24 AutorInnen seien
aus der "mittleren" Generation noch Hugo Claus und die kürzlich verstorbene
Renate Rubinstein genannt. Stilistisch reicht die Palette von formalen
Kabinettstückchen, wenn z.B. Anton Koolhaas in PRO FAMILIA ein Meisenpaar
überzeugend ins menschliche übersetzt, bishin zu den realen,
aber nicht mehr konturierbaren labyrintischen Beziehungsgeflechten in MALERLEID
von Patricia de Martelaere.
Die der Sammlung den Titel gebende Erzählung
DIE FÄHRE von Simon Vestdijk stellt den Vitalismus der Allgegenwärtigkeit
des Todes gegenüber, indem sie einem Freibeuter die Pest als Kumpan
zur Seite gibt.
Eine andere wichtige Phase in der niederländischen
Literatur ist der magische Realismus vertreten durch Hubert Lampo.
Nach
1980 melden sich die nach 1950 geborenen mit der "Selbstvergewisserung
des Individuums" zu Wort. Sucht man nun nach dem Unterschied zur deutschen
Literatur, so sind es sicher die Erzählmotive, d.h. die Motive, warum
in den Niederlanden erzählt wurde. Zwar gab es auch dort in den 60iger
Jahren eine "Entkonfessionalierungsliteratur", die den Mief kleingeistiger
Provinzkritiker nicht mehr bedienen wollte, aber diese Suche nach der "wahrhaftigen
freien Form" wurde eben nicht durch den Ballast einer der deutschen
vergleichbaren Täterschaft während des III.Reiches erschwert.
Das und vielleicht auch das dem offenen Meer zugewandte Temperament erlauben
den niederländischen AutorInnen einen selbstverständlichen Umgang
mit (Selbst-)Ironie, der sich wie eine erfrischende Brise durch nahezu
alle Texte zieht, Texten, denen man sich nicht länger verschließen
sollte.