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"... seine nächste Ausstellung finde nicht in einer Galerie,
sondern im Bahnhofswartesaal zweiter Klasse statt, damit er, der Künstler,
mit seiner Kunst endlich auch jene erreiche, die nie im Leben den Mut hätten,
eine Galerie zu betreten. Greif und sein Kollege mußten kein Wort
darüber verlieren, das Bahnhofsareal war während dieser Ausstellung
für sie ein Sperrgebiet."
Greif und sein Kollege waren schon vor weit mehr als 400 Tagen wegrationalisiert
worden und beziehen nur noch die "staatliche Fürsorge". Greif versucht
das beste daraus zu machen und unterwirft sich strengen Tagesabläufen,
damit er nicht die Selbstachtung verliert. Der Kollege hat es auch versucht
und lebt nicht mehr. Greif hätte aufklären können, ob es
Selbstmord war, aber das "hätte den unaufgeklärten Fall zu
einem erklärbaren, zu einem erledigten Fall gemacht, unwiderruflich."
So weit durfte es nie kommen.
Jörg Steiners Erzählung DER KOLLEGE hakt sich fest. Seine
lakonischen Schilderungen laden sich von der ersten bis zur letzten Seite
an einem spannungsgeladenen Gegenüber auf: Zwischen Gewinnern und
Verlierern innerhalb des profitorientierten Arbeitsmarktes gibt es keine
Gemeinsamkeiten. Dabei vermeidet der Autor jedwede Wertung. Er überläßt
es der Leserschaft, der Doppelbödigkeit alltäglicher Aussagen
aufzusitzen - was unbequem wird, denn sie erweisen sich in ihrem Zusammenhang
als nadelfeine Aphorismen, deren Plausibilität man sich nur schwer
entziehen kann: "Der Kollege sagt, Unabhängige seien auf Abhängige
angewiesen, um unabhängig zu bleiben." Die Wertung bzw. die Ausgrenzung
die der Autor in seinem Text so kunstvoll zu vermeiden vermochte, wurde
allerdings durch die verwegene Preisgestaltung dieses Werkes hintertrieben.
Es richtet sich mithin an die Gewinner, die es sich leisten können.