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Das kurz vor seinem Tod 1837 nur fragmentarisch von Georg Büchner hinterlassene Theaterstück "Woyzeck", das erst 1876 in einer stark überarbeiteten Fassung in Druck und noch weit später, nämlich erst 1913 seine Uraufführung erlebte, basiert auf realen Geschehnissen vom 21. Juni 1821.
Genau 200 Jahre später wird nun von Steve Sem-Sandberg eine deutsche Übersetzung seines Romans "W." vorgelegt, in dem er den Mord des Johann Woyzeck an Johanna Woost als ein Verbrechen aus Leidenschaft vorstellt und den Mörder als einen von seinen unglücklichen Lebensumständen Getriebenen.
Gisela Kosubek (Jahrgang 1941) gelang eine wohldosierte Übersetzung ins Deutsche, die heutigen Lesegewohnheiten entgegenkommt, den Dialogen und Beschreibungen aber jene Patina überzustreifen wusste, die an den Text von Büchner anknüpft. Desungeachtet bilden jedoch die ersten Seiten des Romans eine absatzlose Bleiwüste, in der sich Woyzeck in einer Art Ouvertüre kurz vor und nach seiner Tat selbst zu beobachten scheint. Das mag in einem Theater, von einem Schauspieler vorgetragen, funktionieren. Doch für die Lektüre des Buches bildete das eine nicht leicht zu überwindende formale Hürde, für die es wiederholt eines tröstlichen Blicks ein paar Seiten weiter bedurfte. Da gab es dann Absätze und andere das Lesen erleichternde und dazu einladende Abwechslungen. Und zwar (natürlich) nicht nur formaler Natur. Allerdings meinen "Abwechslungen" hier nicht selten mehr oder minder große Schrecken und Tragödien, die Woyzeck erleiden muss - und dann auch als Soldat gemeinsam mit anderen und zuletzt alleine an seiner geliebten Frau Woost verursacht hat. Wiewohl Inhalt und Ausgang der Geschichte ja bekannt sind, entwickelt der Roman einen starken Sog, zuweilen sogar versetzt mit der leisen Hoffnung, hier und da könnte es doch anders als bekannt verlaufen.
Der Zeitgeist, der sich in dem Roman widerspiegelt, beleuchtet die Umstände einer nach unseren Maßstäben heute per se ungerechten Klassengesellschaft.
Doch trotz aller leicht erkennbaren Unterschiede zur Gegenwart bleiben da noch eine Menge irritierender Gemeinsamkeiten, die auch heute noch ähnliche Gewalttaten aus ähnlichen Gründen zur Folge haben könnten. Insofern berührt der Roman durchaus über eine historische Betrachtung hinaus. Auch deshalb eine lohnende, durchaus empfehlenswerte Lektüre!