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Zugegeben: Beim Bestellen eines Buches mit und über Joseph Kardinal
Ratzinger ging es mir zuallererst um das Bestätigen von Vorurteilen.
Ratzinger ist immerhin Präfekt der Glaubenskongration, jene zentrale
Instanz für die Interpretation und Verteidigung der katholisch kirchlichen
Lehre, deren Vorläufer-Organisation die Inquistion war.
Das ausführliche
Gespräch mit dem aus der Kirche ausgetretenen Journalisten Peter Seewald
wurde SALZ DER ERDE überschrieben. Wenn der Kardinal auf Fragen nach
dem Zölibat antwortet oder sich zur grundsätzlichen Rolle der
katholischen Kirche innerhalb von Unterdrückungssystemen und ihr nahestehender
Organisationen wie der italienischen Partei Democrazia Cristiana äußert,
bestätigt er das bereits Gehörte: Holprige und blindfleckenreiche
Analysen, die verweihräucherte Schlußfolgerungen im Gefolge
haben. Da helfen dann auch keine hartnäckigen Nachfragen.
Dennoch
ist mehr als die Hälfte des Buches für Überraschungen und
Bedenkenswertes gut. Ratzingers Betrachtungen über Fraktionierungen
und Sektenbildungen innerhalb der Kirchen, das Verhältnis zu anderen
Religionen oder das Akzeptieren künftiger Beschränkungen im Status
der (Volks-)Kirchen beweisen hohe Achtsamkeit und sensible Argumentationslinien.
Auch was gerade das Verhältnis zum Judentum und die Verantwortung
von Christen am Holocaust angeht, findet er deutliche Worte, auf die man
bei katholischen Würdenträgern lange warten mußte. Dieses
Buch ist mithin wirklich ein Novum.
In den drei Kapiteln "Zur Person",
"Probleme der katholischen Kirche" und "An der Schwelle der neuen
Zeit" bezieht ein hohes Mitglied der Kurie Stellung, dessen Positionen
zwar kaum alle nachzuvollziehen, jedoch wegen ihrer glaubhaften Authenzität
und dem angenehmen Mangel an Selbstgefälligkeit zumindest zu respektieren
sind. Das hohe Niveau dieses Buches ist aber nicht zuletzt auch Peter Seewalds
Verdienst, der, offenkundig sehr gut vorbereitet, keine noch so brisante
Frage ausgelassen hat, dabei aber nicht der Verführung polemischer
Vorkommentierung erlegen ist.