buechernachlese.de
|
Das Klima hat sich geändert. Der globale Raubbau natürlicher
Resourcen bedeutet nicht zuletzt auch die Mißachtung nachfolgender
Generationen. Die zunehmende Aussichtslosigkeit, die Welt intakt zu halten
oder auch nur eine Leerstelle zu finden, ist mit akademischen Ja-Aber-Diskussionen
nicht mehr zufrieden zu stellen. In den USA machen uns die "Kids" bereits
jetzt vor, was wir demnächst wohl auch verstärkt in Europa zu
erwarten haben: Wütende Überlebenskämpfe diverser Jugendbanden,
die ganze Stadtteile in Angst und Schrecken versetzen.
Neil Postman hat
jedoch noch immer nicht aufgegeben und sucht nach Auswegen. Er setzt dort
an, wo nicht nur bei uns zuallererst eingespart wird: In den öffentlichen
Schulen. Die Absicht seines Buches "KEINE GÖTTER MEHR - Das Ende der
Erziehung" ist nicht nur, "Gründe anzuführen, die als Grundlage
der Erziehung Sinn machen, sondern auch, eine ernste Diskussion über
Gründe schlechthin anzustoßen." Die (mangelnde) finanzielle
Ausstattung einer Schule zu beklagen, ist aber nur sekundär, solange
nicht im gesellschaftlichen Konsens die Frage nach dem "Wofür soll
eigentlich gelernt werden?" beantwortet wird. Für N.P. heißt
das im Klartext: "Ohne einen transzendentalen Sinn wird die Schulerziehung,
wie wir sie kennen, nicht überleben." Diesen fehlenden transzendentalen
Sinn beschreibt Vaclav Havel als "eine Krise der Narrative". N.P.
führt aus und zitiert dabei den tschechischen Präsidenten und
Autoren: "Wir suchen nach neuen wissenschaftlichen Rezepten, neuen Ideologien,
neuen Kontrollsystemen, neuen Institutionen ..." mit anderen Worten, nach
neuen Göttern, die uns 'ein elementares Gerechtigkeitsgefühl,
die Fähigkeit, Dinge mit den Augen der anderen zu sehen, ein Gefühl
der transzendenten Verantwortung, archetypische Weisheit, guten Geschmack,
Mut, Mitleid und Glauben' schenken können."
Ausgehend davon, daß
die öffentliche Erziehung (gegenwärtige und zukünftige)
Öffentlichkeit schafft, sieht N.P. den Verlust des autonomen Denkens
zugunsten einer Anpassung an bürokratische Strukturen. Auch die sogenannten
"effizienten" Technologien sollten daraufhin untersucht werden,
inwieweit sie uns manipulieren und wir immer mehr "zu der Art Mensch
(werden), die diese Technologie erfordert". Es sei doch schon jetzt
offenkundig, daß der Imperativ ausschließlich ökonomisch
"nützlicher" Lehrpläne viel zu begrenzt ist, um einer
Gesellschaft wie dem Individuum einer solchen Gesellschaft langfristig
sinnstiftende Perspektiven zu gewähren.
Bestechend für all jene,
die in irgendeiner Form mit Erziehung befaßt und bereits am Resiginieren
sind, dürften vor allem N.P.s pragmatische Lösungsansätze
sein. So fordert er unter dem Stichwort "Raumschiff Erde", sich
"Methoden einfallen zu lassen, wie wir die Schüler zur Verantwortung
für die eigene Schule, ihr Viertel, ihre Stadt bewegen können."denn: "Wir können es uns nicht leisten, die Energie und den
potentiellen Idealismus junger Menschen zu verschwenden.
Ohne Frage sind
Antriebslosigkeit, Langeweile und Gewalt in der Schule auf die Tatsache
zurückzuführen, daß die Schüler keine sinnvolle Rolle
in der Gesellschaft erfüllen." Auch wenn sein Modellfall eines
nicht von der Müllabfuhr versorgten Stadtteils auf US-amerikanische
Verhältnisse zielt, wäre davon einiges übertragbar oder
zumindest diskutabel, sogar seine daraus abgeleitete Diskussion über
"gesunden Patriotismus". Oder jeder Lehrer sollte ein ihm fremdes
Fach unterrichten, dann "könnte er die Schüler besser verstehen,
sähe den Unterricht wahrscheinlich eher wie ein neuer Lernender denn
wie ein alter Lehrer." Auch sollte man Irrtümer bewußt in
den Unterricht einbauen bzw. die Schüler herausfordern, darauf zu
achten, ob auch unbewußte Irrtümer verbreitet wurden. "Gegenwärtig
gibt es im Unterricht wenig Toleranz für Irrtümer. Das ist einer
der Gründe, warum Schüler schummeln. Es ist auch einer der Gründe,
warum Schüler nervös ..und aggressiv ..und bemüht sind,
das zu rechtfertigen, was sie angeblich wissen." Dagegen: "Wann
immer Differenz zugelassen wird, entsteht daraus Wachstum und Stärke."
denn: "Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Selbstdisziplin, Gleichheit und das
Recht der Mehrheit bei Achtung der Minderheiten (..) sind im Grunde keine
'Werte', sondern Brennpunkte einer großen und andauernden amerikanischen
Debatte über die Bedeutung dieser vagen Begriffe."
Die Schwächen
dieses Buches sind weniger die USA-zentrische Sichtweise, denn die Verengung
auf Schüler der Sekundarstufe bzw. seine fehlende Analyse des erzieherischen
"Unterbaus". Manches wäre dann wohl auch nicht so plakativ
zu formulieren gewesen. Ausgehend von einem vertrauten, ja durchaus konservativen
Werte-Kanon weicht er u.a. auch der Frage aus, wer z.B. für Herkunftswissen
und spirituelle Hygiene zuständig sein könnte. Dabei dürfte
die Vernachlässigung dieser Auseinandersetzung mit ein Grund für
den sich ausbreitenden und auch von N.P. beklagten rigorosen "Konsumismus"
sein.
Dennoch: Gerade in den ersten zwei Dritteln gelangen N.P. "bewegende"
Überlegungen, die schon jetzt von internationaler Bedeutung sind.