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Nun endlich auch als Taschenbuch!
Volker Elis Pilgrim will sein Buch als 'Männerroman' verstanden
wissen, der analog zum Frauenroman die Distanz zwischen Autor und Hauptperson
aufhebt.
Seine 3-teilige Schrift ist kein Roman mit fiktiven Figuren, und von
daher auch nicht 'ausgedacht', aber sie gibt die Reflektion eines Mannes
unter einem bestimmten Gesichtspunkt wieder. Im Gegensatz dazu stehen die
Autobiographie oder das Tagebuch. Ein Roman sei ELTERNAUSTREIBUNG auch
insofern, als der im Buch sich 'beschreibende' Volker zu einer Gestalt
geworden ist, die nicht (mehr) identisch mit dem jetzigen Volker ist. Das
Raffen zu jenem einem Gesichtspunkt bedingte naturgemäß auch
die Auslassung vieler Facetten anderer Gesichtspunkte. Der Verlag ordnete
dieses Buch einem Sachbuchprogramm unter - das menschliche Schubladensystem
offenbart ein weiteres Mal seine Lückenhaftigkeit. Dieser 'Sache',
nämlich die Eltern in sich wie böse Geister ausfahren zu lassen,
nimmt sich Pilgrim persönlich an und rührte damit noch während
des Schreibens in sich, und dem, der offene Augen hat, zu lesen, wird sich
auch hinter keiner 'Sache' mehr verstecken können. Der Voyeur, der
mal für einige hundert Seiten bei einem Schwulen hineinschauen möchte,
um sich anschließend einmal mehr wohlig seiner normalen und keineswegs
krankhaften Heterosexualität zu erfreuen, wird im besten Sinne ent-täuscht
werden. Nahezu alle beschriebenen Verhaltensmuster in den Beziehungen eines
'Homosexuellen' zu seinen Eltern, zu seinem Partner sind auch auf ihn 'übertragbar'.
Auf Grund der unterschiedlichen
Gewichtung in der elterlichen Prägung bzw. Abstempelung kann ein
Kind derart ausgefüllt sein, daß es weder sich noch seine eigene
Geschlechtlichkeit finden kann. An dem Beispiel seiner eigenen Eltern beweisführt
der Autor, daß dies nicht 'zwangsweise in die Homosexualität
treibt', sondern auch Ehepaare hervorbringt, die zwar augenscheinlich einen
Mann mit einer Frau verbunden zeigen, tatsächlich aber den Vater in
der Frau an der Mutter im Manne klammern lassen. Deshalb muß diese
Frau aber noch lange nicht die 'Hosen anhaben' ...
Die 3 Teile dieses Männerromans schildern nun, wie Volker spiralenförmig
in das Zentrum seiner gestörten 'Beziehungskiste' zielt und dabei
auf seine Eltern trifft. Der/die Leser/in wird dabei (sehr) mitgenommen
und zwar eben nicht nur aus der Distanz des/der Lesenden.
Pilgrim geht es offenbar nicht um gesicherte Empirie, sondern um provozierende
Thesen zur Grundlagenforschung, deren plakative Verkürzungen auf-und
anregen.
Der Aufbau und die 'Schreibe' sind wohldosiert - nach einigen Seiten
'Anwärmen', wechselt es hinfort zwischen Spannung, kurzer Entspannung
und Erläuterung, um einen dann wieder mitzureißen.
Literarisch eindrucksvoll ist sein Umgang mit Wörtern, die sexuelles
Miteinander beschreiben, ohne es zu denunzieren: Mittentauschen...
Damit löst sich Pilgrim von dem Kuschelschmusegeseire ebenso wirkungsvoll
wie von dem Henri-Miller-Machogestoße und schafft mit solchen Beschreibungen
Platz für neue Gedanken.
Inwieweit in ELTERNAUSTREIBUNG ein gänzlich neuer psychoanalytischer
Ansatz steckt oder auch 'nur' die konsequente Fortführung Alice Millers
AM ANFANG WAR ERZIEHUNG ist unerheblich - bewundernswert bleibt Pilgrims
Mut zur Offenheit, der brillant ausgedrückt und bis ins Letzte konsequent
durchdacht, den eigenen Mut durch die so gewonnene Lust am Lesen fördert.