buechernachlese.de
|
Manchmal weiß man wirklich nicht, ob das zum Frohlocken oder zum
Bedauern ist: Erst wird etwas als obszön, jugendverderbend und überhaupt
den Kanon aller Grundwerte bedrohend eingestuft, und dann ... Die Halbwertzeiten
der Aufgeregtheiten werden immer kürzer. Zog sich in den 60ern das
Wehgeschrei über die Austrahlung des Beat-Clubs mit seiner Pilzkopf-Musik
noch jahrelang dahin, um sich schließlich als mediales Millionengeschäft
zu saturieren, haben die Privatsender mit ihren Endloswiederholungen alter
Schulmädchenreports nun auch den Sexus seines öffentlich rechtlichen
Tabus beraubt. Das hat Folgen! Leider sind sie nur über den österreichischen
Sender ORF zu empfangen - vermutlich (immer noch) zum höchsten Graus
der nachbarlichen Sittenwächter im Bayrischen Rundfunk. Dabei sieht
man in "Phettbergs Nette Leit Show" keinen unziemlichen Millimeter
nackter Haut, ja der Sex an sich wurde darin noch nicht einmal direkt zum
Thema erhoben, dennoch ist diese Show im besten Sinne anstößig.
Josef Fenz alias Hermes Phettberg gibt seinem Pseudonym alle Ehre. Das
Gegenteil eines lediglich muskelbewußten Glattgesichts lädt
sich pro Sendung drei Gäste ein, z.B. einen Hollywoodschauspieler,
einen Musiker und den Schulungsleiter der städtischen Bestattung Wien.
Zwischen dem ersten und dem zweiten Gast wird ein Video eingespielt, zwischen
dem zweiten und dritten singen die Brüder Poulard. Darüberhinaus
ist der Unterschied zu 'Boulevard Bio' eklatant: Bestimmt nicht, weil sich
bei Phettberg nur im Notfall des Hochdeutschen befleißigt wird, und
auch nicht, weil sich möglichst jeder Gast am Dosenschießen
zu beteiligen oder nur zwischen Frucade oder Eierlikör zu wählen
hat. Während jedoch Alfred 'Bio' Biolek am liebsten nur so tut, als
ob er nichts weiß, vermag Phettberg glaubwürdig wie ein Kind
zu fragen und auch wie ein Kind auf seinen Fragen zu beharren. So sinniert
er z.B. in einem Gespräch mit einem Architekten:
"Und ich denke mich zu Tode, ich komme zu keinem ... also ich denke
und denke und denke, oft steh ich, des Licht is scho aus, ich steh do a
Viertelstund. Wann do mei Nachbarin kummt, schlofwandelnd, triffts der
Schlag, weil i do so lahn (lehne). Und ich denke über diese Stufen
nach, warum die net abstürzen. Allan während des Augenblicks
könnts ja abstürzen, während ich do oben steh, weil ich
hob ja allaa hundertfuffzig Kilo, und des stürzt net ab ..."
Für den spießbürgerlichen Hetero besonders aufregend
ist freilich, daß Phettberg völlig unaufgeregt sein Schwulsein,
seinen Hang zum Sadomaso, seine Ängste ... eben sich in den Kontext
seiner Fragen einbringt. Die Gäste und "Gästinnen" verlieren
allesamt ihre Scheu, nehmen die krudesten Fragen ernst und meinen - sofern
sie überhaupt zu Wort kommen - mit ihren Erklärungen helfen zu
müssen ... und zu können. Das führt zu einer ganz subtilen
Form des Entlarvens (oder auch der Bestätigung), ohne je in peinliches
Vorführen abzugleiten. Der sanfte Hermes Phettberg würde nie
eine Antwort als falsch oder blöde abtun, er staunt nur und die Zuschauer
staunen mit. Zu was da noch schrille "Gags" draufsetzen?
Wer weder im deutsch-österreichischen Grenzland wohnt noch verkabelt
ist, kann sich nun an einer Auswahl der schönsten "Seminare"
in einem allemal sein Preis wertes Taschenbuch erfreuen. In HERMES PHETTBERG
- FRUCADE ODER EIERLIKÖR sind knapp 40 Höhepunkte aberwitziger
Dialoge zusammengefaßt, ergänzt von zahlreichen s/w-Fotos, die
Assistent "Robin" nach jedem Gespräch mit seiner Polaroid-Kamera
schießen durfte, sowie von einem Glossar, der mit seinen Übersetzungshilfen
auch den Nordlichtern einen Zugang zu diesen Kabinettstückchen alltäglichen
Wahnsinns erlaubt.