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Sollte alles Machbare auch gemacht werden? Diese Frage stellt sich Victor
Werker erst einmal gar nicht, denn ihn reizt vor allem das scheinbar Unmögliche.
Mit seiner Entdeckung der "Ebionten" vermag er die Erschaffung der Welt
nachzuspielen. Aus toter Materie wird Leben. Seine Entdeckung nimmt dann
auch Einfluß auf die Forschung an menschlichen Genen.
Doch was Victor in der wissenschaftlichen Welt sogar zum Nobelpreiskandidaten
macht, entzieht sich ihm auf privater Ebene. Drei Wochen vor dem Geburtstermin
schlingt sich die Nabelschnur um den Hals seines sehnlichst erwarteten
Kindes, bei der anschließenden Todgeburt versagt Victor in den Augen
seiner Freundin Clara völlig. Ein Jahr nach ihrer Trennung sucht Victor
sich in Briefen an seine tote Tochter zu rechtfertigen, da sind ihm jedoch
bereits zwei Mörder auf den Fersen ...
"DIE PROZEDUR" wird von Harry Mulisch in 12 "Heften" erzählt,
die wiederum auf drei Kapitel verteilt sind. Das erste Heft ist gleichsam
als Klippe für "unreine Mitleser" gedacht, deren Interesse nicht unter
die oben skizzierte erste Erzählebene reicht. Wer dann aber immer
noch dabei ist, gerät in einen mitreißenden Diskurs über
das Leben an sich, der u.a. faszinierende Parallelen zwischen den Schriftzeichen
der Bibel und den DNA-Buchstabenreihen erörtert, und dem Werden eines
(fiktiven) Textes. Am Anfang war das Wort - gesprochen oder geschrieben
führt es zur Quintessenz menschlichen Daseins. Im Gegensatz zu Franz
Kafkas "Prozeß" hat die Tragik bei Mulisch einen altersweisen Charme,
der über jedwede Düsternis hinausreicht und selbst dem Tod noch
ein Glücksgefühl abzuringen vermag. Die Klippe am Anfang zu überwinden
lohnt sich allemal, denn diese z.T. aberwitzige Gratwanderung zwischen
Vernunft und Metaphysik ist Unterhaltung pur.