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Seit sechs Jahren ist die zuvor als vielversprechend geltende Malerin Alicia Berenson Patientin in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik. Die Indizienlage war eindeutig: Sie wurde mit aufgeschlitzten Unterarmen neben ihrem gefesselten Ehemann aufgefunden, dem sie mehrmals mit einem Gewehr in den Kopf geschossen hatte. Einzig ihre Vorerkrankungen schützten sie vor dem Gefängnis. Alicia Berenson ist seither verstummt und hat kurz danach lediglich noch ein Bild fertiggestellt: Es zeigt sie selbst als Alkestis, die in der gleichnamigen griechischen Tragödie von Euripides ihren Mann vor dem Tod bewahrt, indem sie sich selbst opfert.
Der forensische Psychotherapeut Theo Faber hat den Fall von Anfang an verfolgt und setzt nun alles daran, Alicia zum Sprechen zu bringen. Keineswegs nur aus beruflichem Ehrgeiz …
Der als Drehbuchautor bereits bekannt gewordene Alex Michaelides ("The devil you know", "The Brits are Coming") hat mit "Die stumme Patientin" ein fulminantes Romandebüt vorgelegt.
Nicht nur wegen des Handlungsortes in einer psychiatrischen Klinik kommt diesem Roman wie kaum einem anderen der letzten Jahre auf höchstem Niveau die Genrebezeichnung "Psychothriller" zu. Dass der Autor eine Ausbildung zum Psychotherapeuten abgeschlossen hat und anschließend zwei Jahre in einer psychiatrischen Klinik für Jugendliche arbeitete, war hierfür gewiss nicht von Schaden. So werden von ihm die Abläufe und maßgeblichen Charaktere einer solchen Institution sehr plausibel und überzeugend aus der Ich-Perspektive von Theo Faber vorgestellt. Dazu gehört auch die Kenntnis über den Resonanzboden, den ein Therapeut für seine Patienten bildet und der sich wiederum auf das eigene Gefühlsleben auszuwirken vermag. Unterbrochen werden diese Schilderungen durch Auszüge aus einem Tagebuch der Titelheldin, das sie noch vor der Tat begonnen hatte. Beide Erzählstränge führen den Leser immer tiefer in das Geschehen, und dem, was ihm zugrunde liegt, ein - doch die Auflösung am Ende wird selbst für geübte Thrillerleser überraschend sein.
Und ja, das Milieu des Romans ist bis auf eine Ausnahme "bildungsbürgerlich" gehalten - Maler, Galeristen, Fotografen, Schauspieler, Juristen und last, but not least Ärzte spielen die Haupt- und Nebenrollen. Das erlaubt u.a. auch ein näheres Eingehen auf den Mythos in der Euripides-Tragödie sowie andere intelligente Anspielungen, die auch von daher das Niveau des Romans höher halten, als andere Vertreter dieses Genres.
Dieser Psychothriller hat aus dem Genre ein Prädikat gemacht!