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Zwei Lebenswege: Samuel Manasseh ben Israel mußte bereits als Kind Anfang des 17. Jahrhunderts vor der Inquisition nach Amsterdam flüchten. Er erwarb sich dort umfangreiche Kenntnisse, wurde Lehrer Spinozas, und seine das Christen- und Judentum aussöhnenden Schriften fanden internationale Beachtung, doch vermochte er weder sich selbst noch seine Familie je zufriedenzustellen. Viktor Abravanel, Jahrgang 1955, wuchs als Scheidungskind hauptsächlich bei den Großeltern und im Internat auf. Die Großeltern waren wie der als Kind nach England verschickte Vater Naziopfer, schwiegen sich jedoch über diese Zeit bis zuletzt aus. Als Historiker mit dem Werdegang Spinozas befaßt, löst Viktor ein 25-Jahres-Klassentreffen mit der Frage auf, wer denn von den anwesenden Lehrern ein Nazi gewesen sei.
Ein ebenso riskantes wie großartiges Werk. Riskant, weil Robert Menasse die gewiß dumpfe Kindheit wie an Situationskomik und Irritationen reiche Jugend Viktors im Wien der 60er und 70er Jahre parallel mit dem von Inquisition nicht nur bedrohten, sondern auch manifest gezeichneten Samuel Manasseh gesehen haben will. Nicht Gleichsetzung, sondern Zusammenschau der Parallelen, die tatsächlich immer wieder verblüffen und neben das Bewußtsein, dass sich Geschichte nie wirklich wiederholt, eben auch die Erkenntnis setzt, dass wir allesamt schlechte Schüler der Geschichte sind. Diese im besten Sinn anstößige Konstruktion wird durch eine mindestens ebenso nachhaltig beeindruckende Sprachbegabung eingelöst.
Für das 17. Jahrhundert findet der Autor den Ton einer offenbar fundiert recherchierten Poesie des Grauens, die bei aller existentiellen Not auch immer wieder den Blick auf das hoffnungsvoll Gute wie Schöne lenkt. Sein Viktor dagegen erzählt sich episodenhaft nach Art eines schwarzhumorigen Woody Allen, nur dass er es nicht beim Irrwitz als leicht abzulachende Pointe beläßt, sondern an ihm durchaus ernstgemeinte Empfindungen wie Scham und Verletzungen österreichischer Provenienz freizulegen weiß. Eines der wirklich herausragenden Bücher des Herbstes 2001!