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Colin McGinn

Die Grenzen vernünftigen Fragens

Grundprobleme der Philosophie. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1996, 256 S., ISBN: 3-608-91088-3, >>> Amazon
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In den USA hat sich in den letzten drei Jahrzehnten eine neue Fakultät herausgebildet: Die Kognitionswissenschaft. Anthropologen, Informatiker, Linguisten, Philosophen und andere bilden darin ein interdisziplinäres Zweckbündnis, um insbesondere sich ergebende Überschneidungen an den Randbereichen der jeweiligen Einzeldisziplin nun gemeinsam zu "beackern". Das hat bereits revolutionierende Folgen, wenn nun zum Beispiel das "Sozialwissenschaftliche Standardmodell", wonach die menschliche Psyche nahezu ausschließlich von der sie umgebenden Kultur geformt würde, bestritten wird, ohne dabei gleich wieder dem "biologischen Determinismus" Tür und Tor zu öffnen. Aber das gemeinsam erworbene interdisziplinäre Denk-Instrumentarium wirkt auch in die einzelnen Fachgebiete selbst hinein.
So zeitigte nicht zuletzt der rege Meinungsaustausch des Philosophen Colin McGinn mit dem Linguisten Noam Chomsky einen überraschenden, sehr strittigen, nichtsdestotrotz anregenden Ansatz, über die Möglichkeiten und Grenzen der Philosophie nachzudenken.
"Nicht weil philosophische Fragen zutiefst problematische, sonderbare oder fragwürdige Wesenheiten oder Fakten betreffen, stellt sich philosophische Verwirrung ein, sondern weil unserem Erkenntnisvermögen bestimmte Grenzen innewohnen."
Ähnlich wie unser Sehvermögen zwar leistungsstark ist, aber nicht alle Farbspektren erfaßt, wären wir Menschen zwar in der Lage manch philosophische Frage aufzuwerfen, ohne sie je wirklich beantworten zu können. Uns fehle schlicht das notwendige "Organ" dazu.
"Der Aufbau unseres Erkenntnisvermögens behindert die Erkenntnis der eigentlichen Natur der objektiven Welt. Diese These nenne ich den transzendentalen Naturalismus, abgekürzt TN."
Was McGinn erst nur auf das "Leib-Seele-Problem" bezog, erhebt er nun zu einem generellen Frage-Ansatz, der vergleichbar grundsätzliche Problemstellungen wie "Das Ich", "Das Meinen", "Die Willensfreiheit", "Das Apriori" und "Das Wissen" einschließt. Kapitel für Kapitel führt er die genannten Problemstellungen in seinem neuen Buch aus, untersucht diese im DUME-Schritt, das heißt nach den vier gängigen philosophischen Standpunkten, die einen problematischen Begriff entweder domestizieren, für unzurückführbar erklären, vom mystischen Standpunkt aus betrachten oder ihn schlicht als nicht weiter relevant eliminieren, um zuletzt ihre Möglichkeiten und Beschränkungen nach dem TN darzulegen. Analog zu der Theorie von einer Universalstruktur menschlicher Sprachen, die auf ein uns allen innewohnendes "diskretes kombinatorisches System", also einer Art "Sprachmodul" zurückzuführen ist, vermutet McGinn etwas, "was bei der Abgrenzung des der Vernunft zugänglichen Bereichs die gleiche Rolle spielt wie die Grammatik, so daß dieses Etwas Schranken festlegt, die das philosophischen Denken nicht überschreiten kann."
(Wer der Analogie mit dem Sprachmodul hier nicht folgen kann, dem sei auch nachdrücklich "Der Sprachinstinkt" von Steven Pinker, Kindler Verlag, München 1996 empfohlen!)
Diese Vermutung findet ihren Ausdruck in dem Kürzel KAGA, das McGinn als "kombinatorischer Atomismus mit gesetzartigen Abbildungen" entschlüsselt. KAGA bezeichnet ein Muster, wie Menschen Probleme in Beziehung zu setzen oder auch zu lösen pflegen, aber es erlaubt uns eben seiner Struktur nach keine Erkenntnisse über die obengenannten Meta-Probleme. So führt McGinn am Beispiel des "Meinens" aus, daß es keinen triftigen Grund für die Annahme gibt, "daß wir über Anlagen zur Erfassung der Möglichkeit des Meinens verfügen. Denn dessen zugrundeliegenden Ermöglichungsprinzipien sind für ein Vermögen von der Struktur des unseren völlig uninteressant." Oder noch zugespitzter: "Daß wir dazu imstande sind, etwas zu meinen, hat schließlich nicht den Sinn, das Wesen des Meinens selbst zu begreifen, sondern diese Fähigkeit dient dazu, andere Dinge vorzustellen."
Sein Fazit klingt denn auch nachgerade demütig und setzt fort, was schon Locke, Hume, Kant und Schopenhauer angedacht haben: "Es sollte uns nicht wundernehmen, daß wir nicht über Dinge Bescheid wissen, über die wir gern mehr wüßten, sondern was uns wirklich überraschen sollte, ist, daß wir überhaupt soviel wissen, wie wir wissen."
Aber dann überrascht McGinn noch mit einer erkenntnispluralistischen Volte, indem er überlegt, ob in unseren Genen nicht auch gerade der Code enthalten ist, der unsere Fragen auf all die ungelösten philosophischen Probleme beantworten könnte - wenn wir diesen Code denn nur dereinst einmal zu entschlüsseln vermöchten. Damit wäre unsere vielgepriesene Vernunft nur die Vorstufe von etwas uns noch völlig Unbekanntem. So oder so wäre es aber "nicht richtig, die Möglichkeit philosophischer Erkenntnis zu verhindern, solange auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg besteht, sie zu erlangen."
McGinn wollte und vermochte an keiner Stelle die jeweilig gängigen Theorien nachhaltig umzustürzen. Vielmehr sieht er in seinem Transzendentalen Naturalismus einen "ontologischen Spielraum, die Freiheit, das, was bis zuletzt rätselhaft bleibt, hinzunehmen". Und das Buch endet in einer Anmerkung mit einem Zitat Chomskys: "Es ist ein Glück für das betreffende Lebewesen, wenn es Probleme gibt, die es gar nicht lösen kann, denn das heißt, daß es die Fähigkeit besitzt, bestimmte andere Probleme zu lösen".
In einem Deutschland mit seinen erst kürzlich von Peter Glotz (SPD) kritisierten 4000 Klein- und Kleinststudiengängen sollte nachgerade der interdisziplinäre Impuls, der zu diesem Buch geführt hat, Beachtung finden.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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