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Joel ist fünfzehn, die Schule hat er abgeschlossen - Zeit, endlich aufzubrechen. Sein ganzes Leben hat er in diesem Nest hoch oben im Norden Schwedens verbracht. Immer allein mit seinem kauzigen Vater Samuel, den er zu bekochen und vor sich selbst zu schützen hatte. Jetzt darf sich Samuel nicht mehr im Alkoholrausch verstecken, jetzt muß er Farbe bekennen und sein Versprechen halten: Er soll zusammen mit Joel wieder auf einem Schiff anheuern. Ein Brief aus Stockholm gibt weiteren Anlaß, die Koffer zu packen. In ihm wird der Aufenthaltsort von Joels Mutter genannt, die ihn kurz nach seiner Geburt verlassen hatte. Joel will sie kennenlernen und die Beweggründe für ihr Verschwinden erfahren. Und wenn sie dann schon einmal in Stockholm sind, können sie auch gleich zum Hafen gehen.
Daß Autoren Kriminal- und zugleich Jugendliteratur verfassen, ist gar nicht so selten. Daß einer beide Felder auf gleich hohem Niveau zu beackern vermag, schon seltener. Henning Mankell beweist jedoch in diesen Gattungen eine Klasse, bei der die Wertschätzung 'herausragend' wirklich Sinn macht.
Mit 'Die Reise ans Ende der Welt' liegt nun der letzte, einmal mehr preisgekrönte Band der Tetralogie um Joel vor. Mankell läßt darin seinen jugendlichen Helden die Linie zwischen Kindheit und Erwachsenwerden überwinden und zu guter Letzt sein Traumziel Afrika erreichen. Inwieweit hier Autobiographisches zum Tragen kommt - der Autor lebt selbst seit Jahren in Mosambik - wird zur Nebensache angesichts einer Sprachfertigkeit, die wie selten jugendliche Innenwelten in Worte zu fassen vermag. Da seine Protagonisten alles andere als geschwätzig sind, findet deren Introspektive lediglich in der Landschaft ein Gegenüber, die vor allem aus Wald, Schnee und Sternenhimmel zu bestehen scheint. Hier dennoch Spannung und sogar Witz aufkommen zu lassen, ist schon ein Kunststück für sich. In diesem Buch bleiben die Lacher jedoch bald im Halse stecken. Je mehr sich der Horizont Joels weitet, umso endgültiger wird das Abschiednehmen. Die Enge des Vertrauten wird von der sehnsüchtig erhofften und nun doch beängstigenden Fremde abgelöst. Zum Glück vermag Joel seiner niedrigen Erwartungshaltung an Erwachsene eine sprudelnde Phantasie und immense Durchhaltekraft gegenüberzustellen. 'Es ist, wie es ist.'
Mit geradezu homerisch anmutender Lakonie fordert Mankell Anteilnahme und Wiedererkennen heraus, sein schnörkellos dröger Tonfall rührt einen zuletzt zu Tränen. Für ihn hat Jugend nichts mit heiler Welt zu tun, sondern sie ist eine Zeit, die man zu überleben hat. Vollkommenes Glück gibt es sowieso nicht, höchstens die Möglichkeit zur eigenen Entscheidung, die sich leider oft genug in ein messerscharfes Entweder-Oder zuspitzt. Diese Schlüsse zu ziehen oder andere Fragen abzuleiten, bleibt jedoch allein dem Leser überlassen. Zu Ende gelesen wird diese Geschichte allemal, denn Jugendliche wissen Mankells Art der Wahrnehmung und des Ernstnehmens sehr zu schätzen. Erwachsene könnten hier wie in seinen Krimis das Erinnern üben.
Weitere Besprechungen zu Werken von Henning Mankell siehe:
Büchernachlese-Extra: Henning Mankell