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Der mittlerweile 75-jährige US-amerikanische Schriftsteller Norman
Mailer hat vor allem mit seinem Antikriegsroman "Die Nackten und die Toten"(1948)
weltweites Ansehen erlangt. Als Vertreter der 'Faction-Prosa', die
Dokumentarisches mit Fiktionalem zu verbinden suchte, bewies er auch später
politisches Engagement u.a. gegen den Vietnamkrieg und verfaßte zuletzt
Biographien über Marylin Monroe und Picasso.
Sein neuestes Buch bleibt diesem Prosastil in gewisser Hinsicht verpflichtet,
dennoch dürfte es manchem zum überraschend donnernden Paukenschlag
werden. Denn diesmal entwickelt Mailer seine Fiktion nicht an Personen
und Geschehnissen der jüngeren Zeitgeschichte, sondern am Neuen Testament.
Und weil das für sich kaum mehr besonders originell wäre, verfaßt
er nicht etwa das Evangelium eines fünften, apokryphen Zeugen, sondern
gleich "DAS JESUS-EVANGELIUM". Da Mailer für die offenbar mit dem
Holzhammer gestrickte Übersetzung des vieldeutigeren Orginaltitels
"The Gospel according to the Son" vermutlich nicht haftbar zu machen ist,
sei hierüber der Mantel der Barmherzigkeit gelegt.
Tatsächlich ist es Jesus, der hier in der Ich-Form den "Übertreibungen"
der Evangelisten entgegentreten und sich in seinen menschlichen Ängsten
und Schwächen vorstellen will. Insbesondere Matthäus, Lukas und
Johannes "legten mir Worte in den Mund, die ich nie ausgesprochen habe,
und schilderten mich als sanftmütig, während ich fahl vor Zorn
war." So nutzt Mailer zwar die Geburtslegenden von Matthäus und
Lukas hält sich aber ansonsten an Markus, dessen Evangelium er wohl
noch als das "authentischste" empfand. Und dann erzählt Jesus
seine Geschichte bis zur Auferstehung und kommentiert darüber hinaus,
was danach geschah.
Bewundernswert ist die Chuzpe, mit der Mailer Jesu einfach drauflosberichten
läßt. Das Wie, Wo und Warum-gerade-erst-jetzt spart der Autor
einfach aus. Einiges, wie z.B. die Konfliktentfaltung zwischen Jesu und
seiner Mutter Maria hat er psychologisch durchaus überzeugend ausgemalt,
und auch wie die Beziehung zwischen Jesus und Gott vorgestellt wird, ist
zumindest eines Gedankens wert - aber abgesehen von der Ich-Form ist das
Ganze natürlich "nur" ein Mailer-Bekenntnis. Seine Sicht der
Dinge ist dabei allemal respektabel, jedoch gewiß nicht allgemeingültig
oder auch nur auf dem Stand neuerer kritisch-theologischer Erörterung.
Dem Faden, das damals wie heute der 'Mammon' oft den Vorzug vor dem
Willen des einen Gottes gewinnt, ist kaum zu widersprechen, die Mailer'sche
Dualität von Teufel und Gott dürfte aber von vielen aufgeklärten
Gläubigen bestritten werden - insbesondere wenn es an einer Stelle
heißt: "Dennoch erwies sich der Herr als ebenso schlau wie Satan ..."
Neben der verfälschenden Umschiffung der Naherwartung des Gottesreiches
lassen nicht zuletzt das kaum kommentierte patriachalistische Frauenbild
und insbesondere der latente Antijudaismus das Buch zu einem Bärendienst
für die Auseinandersetzung mit dem Christentum werden. (So "bezeugt"
Jesus dann doch am Ende wieder Matthäus, noch dazu mit Mt. 27,25,
wonach die Juden die künftigen Progrome ja selbst zu verantworten
haben.) Daß Jesus "zur rechten Hand Gottes" nicht den Mann
kennt, der das Johannes-Evangelium verfaßte, ansonsten sich aber
ganz gut in der Weltgeschichte auskennt, ist dann nur noch ein kleines
literarisches Mißgeschick.
Fazit: So sehr man dem Christentum jede konstruktiv-kritische Anregung
wünscht, zielt dieses Buch zuoft daneben, als daß man es guten
Herzens gar zur Erstbegegnung mit Jesus weiterempfehlen könnte. Bleibt
nur zu hoffen, daß immerhin das Skandalon der unvermuteten Verbindung
dieses Weltautoren mit dem Neuen Testament unbeabsichtigt immerhin manch
neues Interesse am Original auslöst.