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Seit über 30 Jahren ist er nahezu jeden Sonntag in der Titelmelodie des "Tatorts" zu hören: Udo Lindenberg am Schlagzeug als kurzfristiges Mitglied der Doldinger Passport Band. Was solche Puzzleteile angeht, wird die in Zusammenarbeit mit Kai Hermann verfasste Autobiographie "Panikpräsident" gewiss viele seiner jüngeren aber auch älteren Fans überraschen. Doch so erstaunlich die Breite seines musikalischen Spektrums auf den ersten Blick anmuten mag, liest sie sich hier als organische Entwicklung von den Ursprüngen des Jazz der 50er und 60er Jahre zum Jazz-Rock und von dort zu jenem Udo spezifischen Rock-Amalgam aus anarchisch freiem Zugriff auf alle möglichen Musikstile samt der vernuschelt vorgetragenen, einzigartig intergalaktischen Texten. Auf Deutsch - seinerzeit das geniale Paradoxon einer Rockrevolution.
Ansonsten entspricht die Vita vom "kleinen Udo" genau dem, was sich ansonsten die Pressesprecher so manch geschäftsmäßig saturierter Rockstars erst mühsam aus den Fingern saugen müssen. Exzessive Besäufnisse, dazwischen Fitnesskuren mit der gesamten Panikfamilie, denen dann doch wieder Abstürze auf die Intensivstation folgten.
Zwischen mündlicher Rede und einem schriftlichen Text liegen zuweilen Welten - Kai Hermann hat den exaltierten Redefluss von Udo L. jedoch so gekonnt wie behutsam gebändigt, dass diese Autobiographie an keiner Stelle zu nerven beginnt und trotzdem wie aus einem O-Ton-Udo-Guss wirkt.
Dass in dieser Sprache so pointiert wie zärtlich auch die Kurz-nach-Krieg-Kindheit aufgerollt werden kann, erstaunt allein nach dem Hören von "Ein Mädchen aus Ostberlin" nicht wirklich. Udos schon damals vorgegebenes Ziel, aus dem winzigen Gronau an der Dinkel zum Millionär aufzusteigen, verbindet sich mit dem umwerfenden Charme in der Rolle eines auf Wahrheit zielenden Hofnarren. Der Preis für diese geniale Querdenker-Zielstrebigkeit ist hoch - und das ist nun das eigentlich Erstaunliche: Nicht dass er sich immer noch neu zu erfinden vermag und seine Texte, Lieder und anderen Projekte immer noch Aufmerksamkeit erregen - aber dass er selber diese Schaffens- und Rauschexzesse bis heute ins 58. Lebensjahr überlebt hat, ist kaum zu glauben.
Viele seiner deutschsprachigen Rock-Epigonen sind mittlerweile vielleicht noch besser im Geschäft als er, aber an die herz- wie zwerchfellgenaue Poesie seiner Texte reichte neben ihm bislang nur Rio Reiser heran - und der ist schon seit Jahren tot.
Also sehr geehrter Panikpräsident, Vater aller Dichterrockbarden, bleibe gut behütet und verdiene Dir auch weiterhin den Stehaufmännchenorden am goldenen Bande.