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"Wie leicht fällt es doch zwei Schurken, sich zu einem gemeinsamen
(..) Verbrechen (..) zu verabreden; wie unmöglich aber ist eine harmonische
Zusammenarbeit, wenn zwei Menschen auf dieselbe Weise lieben, auf ganz
andere Art jedoch verstehen, weil ihre Erfahrungen ganz andere sind."
Diese Erkenntnis aus den ERINNERUNGEN von Janusz Korczak, der eigentlich
als Henryk Goldszmit 1878 oder 1879 geboren wurde, war ihm buchstäblich
bis zu seinem legendären Lebensende Antrieb, anstatt wie für
1000 andere ein plausibler Grund für die Resignation zu sein.
Betty Jean Lifton hat ein Kunststück vollbracht: Aus den wenigen
Fragmenten von Korczaks literarischem Nachlaß und den wenigen noch
lebenden Zeitzeugen, das sind ehemalige Kinder und Betreuer aus Korczaks
jüdischem Waisenhaus, knüpfte sie ein dichtes, beziehungsreiches
Netz, das gerade wegen seiner offenkundig notgedrungenen Transparenz den
Leser gefangen hält. Wo andere das vielleicht im besten Wollen tollpatschig
mit Pathosklecksen zukleistern würden, hält sie die Fäden
ihrer Spurensuche offen in der Hand, zeigt, wonach sie Auschau hält.
Relativ spät, erst 1978, hörte sie von J.K., der utopische Geschichten
und Märchen für Kinder geschrieben hatte, vergleichbar einem
James Caroll, nur mit dem Unterschied, daß seine Kinder in den dunklen
Slums von Warschau lungerten.
"Ich wollte mehr über diesen Mann wissen - diesen guten Arzt
- der es vorgezogen hatte, zu sterben, bevor er die Prinzipien, nach denen
er gelebt hatte, aufgab. Was hatte ihm die Kraft gegeben, diese Prinzipien
in einer aus allen Fugen geratenen Welt aufrechtzuerhalten?"
Die etwas dazu sagen konnten, hatten nicht den Märtyrer gekannt
und geliebt, sondern den "lebendigen, fehlbaren Vater und Lehrer".
J.K. war Pole und Jude, das überbehütete Salonkind in einem
großen, von Frauen dominierten Haushalt, er war der Sohn eines launischen,
zuletzt wahnsinnigen Vaters, er war ein einsames Kind, der statt draußen
wie die anderen vom Hausmeister gejagt zu werden, eine Phantasiewelt bevölkern
mußte, er war der Enkel eines Großvaters, der die Annäherung
zwischen Polen und Juden suchte.
J.K. hatte nie geheiratet und wollte keine eigenen Kinder. Die einzig
ausgesprochenen, zärtlichen Gefühle zu Gleichaltrigen hatte er
als Knabe zu einem anderen zugelassen - seine Passion waren die Kinder,
denen er eine Hilfe zur Selbstverantwortlichkeit sein wollte. Als Erwachsene
bekamen diese dann ein Nachlassen seines intensiven Interesses zu spüren
- sie waren keine Kinder mehr.
J.K. war ein Pionier des Selbstverwaltungsgedankens, er wollte eine
Kinderrepublik, in der Kinder über Kinder zu befinden hatten. Er war
von einem aggressiven Harmoniebestreben zugunsten der Kinder. Er bat nicht,
er forderte ein Lebensrecht für die verwahrlosten, ausgestoßenen
und mißhandelten Kinder. Bis zuletzt hatte er keine Angst, auch im
Warschauer-Ghetto nicht, selbst bei den Nazi-Deutschen dies einzuklagen.
Bis zuletzt hatte er Angst, genauso wahnsinnig wie sein Vater zu werden.
J.K. ist Teil der wechselvollen polnischen Geschichte, die Betty Jean
Lifton kontrapunktisch miteinzuführen weiß, sodaß aus
manch häßlichem Gedanken vor den derzeit überfüllten
Billig-Supermarktketten die Luft abgelassen würde.
"Wenn er ihnen (den Betreuern; der Rez.) helfen konnte, sich in
jene Zeit zurückzuversetzen, in der all ihre Sinne noch offen waren, wenn es ihm
gelänge, die Wälle niederzureißen, die sie errichtet hatten,
um das weinende Kind in sich abzuschotten, dann konnte er sie auch an die
Gründe des scheinbar irrationalen Betragens von Kindern heranführen."
Diese Schlußfolgerung, lange vor Alice Miller, ist sicher auch
auf J.K. selbst und sein Lebenswerk anzuwenden. So lauten die ersten Zeilen
aus der berühmten Geschichte von KÖNIG HÄNSCHEN I.: "Wenn
ich wieder klein werde ... Und das war so ..."
Offenbar kongenial von Annegrete Lösch in ein mitreißendes
Schildern übersetzt, ist KÖNIG DER KINDER ein
Muß für alle, die Kinder lieben und groß(er)ziehen wollen
und dabei nicht vergessen, auch in sich das Kind zu suchen.
"(..) Es wäre schön, wenn man abwechselnd klein und groß
sein könnte - wie Sommer und Winter, Tag und Nacht. Dann würden
sich Kinder und Erwachsene verstehen."