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Thierry Lenain

Das Mädchen am Kanal

Erzählung ab 12 bzw. 14 Jahre.
Fischer Schatzinsel Verlag, Frankfurt a. M. 1999, 75 S., ISBN: 3-596-85049-5, >>> Amazon
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Einem Mädchen wird etwas angetan. Schon unzähligen Kindern wurde etwas angetan, worüber sie dann lange Zeit nicht reden können. Jetzt ist es Sarah passiert. Ihre Mutter versteht nicht, warum Sarahs schulische Leistungen nachlassen und warum Sarah mit 11 Jahren unbedingt eine Puppe haben will. Sarah fügt ihrer neuen Puppe eine schreckliche Verletzung zu, aber auch das sieht niemand.
Die Mutter erwartet von Sarah durchweg gute Leistungen. So fördert sie auch Sarahs Zeichentalent und schickt sie schon seit längerem zu einem Privatlehrer. Dieser Zeichenlehrer hat viel Erfolg mit einem Aquarell, das ein schlafendes, nacktes Mädchen auf einem Sessel zeigt. Aber jetzt kann Sarah nur noch einmal die Woche zu ihm. Denn wenn die Leistungen in der Schule nachlassen, ist Sarah eben schlicht faul und soll bei jemandem Nachhilfe nehmen. Sarahs Klassenlehrerin ist die einzige, die das Mädchen zu verstehen versucht. Doch die Lehrerin hat Angst, lediglich ihr eigenes Schicksal auf das von Sarah zu projezieren. Zwanzig Jahre zuvor ist ihr dasselbe passiert wie dem Mädchen. Zwanzig Jahre zuvor, dachte auch sie, der Kanal sei wegen ihr zugefroren und das Wasser könne nie mehr zum Meer fließen.
"Das Mädchen am Kanal" ist ein Buch, von dem man nur hoffen kann, daß es stets rechtzeitig entdeckt wird, womöglich in einer Bibliothek oder in der Schule. Kinder, die ein sprachlos machendes Erlebnis erleiden, stehen Erwachsenen gegenüber, die wegen ihrer eigenen Kindheitserlebnisse entweder taub geworden sind oder gar zu Tätern werden. Wem aber wollte man zu welchem Anlaß eine solche Geschichte schenken? Ein "Vorwand" könnte immerhin der Hinweis auf die Sprachfertigkeit Thierry Lenains sein. Seine poetische Lakonie, hervorragend ins Deutsche übertragen von Anne Braun, erinnert ein wenig an Kafkas Erzählhaltung. Selbst das einem Jugendbuch gemäße "Happy End" kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie hilflos Kinder erwachsengewordenen Kindern samt ihren Deja-vu-Erlebnissen ausgesetzt sind.
Lenain entwickelt seine Geschichte sehr verantwortungsbewußt. Das Opfer Sarah wird als Erzählfigur nicht noch einmal mißbraucht. Schnörkellos, ohne jede Überladung wird die Perspektive Sarahs von den Erinnerungen der Klassenlehrerin abgelöst. Keine detaillierten Einzelheiten der Vergehen, sondern nur ahnungsvolle Hinweise, die immer wieder in die Sprachlosigkeit münden - das perfide Mittel eines jedweden Mißbrauchenden.
Diese mit dem "Grand Prix du Roman Jeunesse" ausgezeichnete Erzählung ist schwerlich einer Altersgruppe zuzuordnen. Betroffenen Kindern ist sie womöglich bereits ab 12, ansonsten nicht vor 14 Jahren zu empfehlen und dann am besten als Klassenlektüre in der Schule. Eines Altersgrenze nach oben hat diese Erzählung jedenfalls nicht.

Buechernachlese © Ulrich Karger


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