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Vom höchsten Turm der Hafenstadt Vastai aus wacht der Rabengott über sein Reich Iraden. Zu den Menschen spricht er durch die von einem Rabenvogel ausgewählten Zeichen, die wiederum von einem menschlichen Statthalter gedeutet und verkündet werden. Damit dieses Machtgefüge nicht mit dem Tod des Rabenvogels abbricht, muss allerdings auch der Statthalter unverzüglich sein Leben opfern, damit nach dem Schlüpfen eines neuen Rabenvogels auch gleich ein neuer menschlicher Erbe die Nachfolge antreten kann. Als nun Mawat vom Tod des Rabenvogels erfährt und davon ausgeht, dass sich sein Vater als bisheriger Statthalter an die göttlichen Regeln gehalten hat, macht er sich sofort zusammen mit seinem Freund und Diener Eolo auf den Weg in die Hauptstadt zurück. Doch bei seiner Ankunft sitzt bereits ein anderer Regent auf dem Herrscherstuhl - sein Onkel …
Die bereits mit allen namhaften SF-Preisen ausgezeichnete Autorin Ann Leckie legt mit "Der Rabengott" ihren ersten High-Fantasy-Roman vor, dessen Original von 2019 es ebenfalls auf die Shortlist des Hugo Awards für den besten Roman schaffte.
Das Muster, dass der Bruder eines Regenten sich dessen Herrschaft aneignet und der eigentliche Erbe Vergeltung sucht, ist ja keineswegs neu, aber die Autorin gewinnt diesem Muster für ihren Romanplot dann doch ganz andere und überraschende Variationen ab, u.a. mit der Art und Weise, mit der sie zu den Menschen eine Parallelebene der Götter gesellt, die ebenfalls in Konkurrenz zueinanderstehen.
Und so wird auf zwei Zeitebenen aus der Perspektive einer Gottheit namens "Stärke und Geduld des Hügels" erzählt, die als (oder mit einem?) Komet auf die Erde gefallen ist und ab da von einer nur wenig ihrer Selbst bewussten Wesenheit eine Entwicklung durchläuft, die sie im zweiten Strang auch zur auktorialen Erzählerin der Gegenwart werden lässt - allerdings spricht sie dabei Eolo als einen der Handlungsträger durchgehend mit "du" an.
Mit dieser (nur anfangs!) etwas irritierenden Vorgabe des Erzählens entsteht allmählich ein zugkräftiger Mahlstrom, der einen bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Und das Finale ist dann für die Menschen wie auch für die meisten Gottheiten ziemlich überraschend und zugleich von erfrischender Lakonie.
Der Autorin wie auch ihrem Übersetzer Michael Pfingstl ist mit diesem Roman jedenfalls das seltene Kunststück gelungen, literarisch anspruchsvoll übliche Sprachregelungen und sonstige Konventionen in der SF zu brechen, um damit dennoch sehr eingängig im besten Sinne spannungsreiche Unterhaltung zu bieten.
Für die Büchernachlese Grund genug, diesen Titel künftig auch in die Büchernachlese-Bestenliste einzureihen …