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Das Lamento über den Schwund kirchensteuerzahlender Mitglieder
wurde bisher nur mit zweifelhaft wirkungsvollen Sparmaßnahmen beantwortet.
Ein Konzept, wie Anspruch und Wirklichkeit der Frohen Botschaft wieder
zu einem ernstgenommenen Bestandteil öffentlicher Auseinandersetzungen
werden könnte, steht nach wie vor aus. Unter der rhetorischen Fragestellung
WENN ES DAS CHRISTENTUM NICHT GÄBE versammelte Norbert Kutschki nun
die Beiträge von fünf ordentlichen, vornehmlich katholischen
Theologie-Professoren, um die "Leistungen" des Christentums für
die Gemeinschaft der Menschen ins rechte Licht zu stellen. Um es gleich
vorwegzunehmen: Nur der letzte Beitrag hat das Thema nicht verfehlt.
Ganz
abgesehen davon, daß sie konsequent überheblich die katholische
Kirche mit die Kirche gleichsetzen, setzen vor allem die ersten beiden
dogmatische Behauptungen mit beweiskräftigen Schlußfolgerungen
gleich und scheren sich einen feuchten Kehrricht um die Meinungen anderer,
solange diese nicht ihre Positionen zu untermauern scheinen. Da wird die
Forderung christlicher Nächstenliebe den gegenwärtigen Symptomen
von Sinnleere und Orientierungsnot gegenübergestellt, aber kein selbstkritisches
Wort darüber verloren, inwiefern vielleicht gerade auch die Kirchen
an den Symptomen wachsender Lieblosigkeit die Verantwortung tragen. Da
wird über das Leben referiert und dabei insbesondere mit dem römischen
Philosophen Boethius aus dem 6. Jahrhundert argumentiert, und fertig ist
ein Artikel gegen die Abtreibung, der einmal mehr sich noch nicht einmal
die Frage nach dem Schutz des bereits geborenen Lebens stellt.
Der dritte
Beitrag von Richard Heinzmann sieht die Menschenrechte vom Christentum
inspiriert und findet sogar ein paar kritische Worte zu Papst Pius dem
IX., der sich einst entschieden gegen die Menschenrechte ausgesprochen
hatte. Jetzt einmal hingeschrieben, solle man dann aber auch nicht mehr
länger daran rühren, sondern habe das "grundsätzlich
als erledigt (zu) betrachten". Erst im letzten Absatz fragt Heinzmann
dann wieder: "Wie steht es aber mit den Menschenrechten in der Kirche?
Wie geht man mit den Menschen und ihren Problemen um?" - Einmal mehr
ein vergeblicher Versuch zu scheiden, was im Bewußtsein der Menschen
nicht voneinander zu trennen ist.
"Über das unverwechselbar Christliche"
von Hans Waldenfels zeichnet sich durch schlüpfrige Ambivalenz aus.
Wenn Waldenfels z.B. anfangs das Kreuz Jesu als Siegeszeichen zu "Heidenvölkern"
und zu den Soldaten im Zweiten Weltkrieg in Form des EK I finden läßt,
weiß man nicht, ob das nun ironisch oder ernst gemeint ist. Es seien
hier gutwillig jene Aussagen hervorgehoben, in denen er die Mißachtung
des Christentums vor den und dem Fremden kritisiert und die Forderung stellt,
daß "das Christentum seinen Ort in der pluralistischen Welt neu
bestimmen" muß.
Eugen Bisers Beitrag endlich ist im besten Wortsinne
anstößig. Bemerkenswerterweise formuliert der Nestor (Jg. 1918)
unter den durchschnittlich 60-jährigen den Titel "An der Schwelle
zum dritten Jahrtausend", um dann - jedenfalls für manch katholischen
Würdenträger - mit geradezu ketzerischen Positionen der Mystik
das Wort zu reden. So sieht er Säkularismus und Aufklärung "keineswegs
als eine Ausgeburt der Hölle", sondern als eine "kritische
Folgeerscheinung des Glaubens, die wesentliche Motive der Jesusbotschaft
wie Freiheit, Solidarität und Toleranz in Profanbereiche eindringen
ließ, die nur auf diesem Umweg erreicht werden konnten." Das
Christentum müsse sich auf seine Identität und seine sinnstiftende
Kraft besinnen. Danach ist das Christentum keine asketische, sondern eine
therapeutische, keine moralische, sondern eine mystische Religion. Ferner
ist es im Gegensatz zum Islam keine primäre, sondern eine sekundäre
Schriftreligion, da ihre Evangelien nur "dem Hörensagen nach"
berichten. Jesus wurde zum größten "Revolutionär"
der Religionsgeschichte, weil er "den Schatten des Angst- und Schreckenerregenden
aus dem traditionellen Gottesbild zu tilgen" vermochte. Das Vorbild
Jesu meint demnach vor allen Dingen das Herabsteigen "vom Podest des
Herrentums, um das Freundschaftsverhältnis zu erneuern, das er seiner
Jüngergemeinde zusprach". Auch wenn oder gerade weil das an die
Thesen von Eugen Drewermann erinnert, schlagen aus diesem Beitrag noch
die hellsten Funken.