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"Es hagelte so stark, dass es die Blätter von den Bäumen riss. Das ist wirklich passiert, in der Jan-van-Eyk-Straße im Sommer 1951, als ich neun Jahre alt war."
Seine Mutter nennt Thomas wegen solcher Beobachtungen "Träumerchen", aber die sechzehnjährige Elsa mit dem künstlichen Bein aus Leder nimmt sie ernst - ein guter Grund sich unsterblich in sie zu verlieben. Thomas sieht Dinge, die sonst niemand sieht. Und damit er sie nicht vergisst, schreibt er sie in ein Heft, das für ihn "Das Buch von allen Dingen" werden soll. Doch einer kann solche Ideen und Gedanken überhaupt nicht ertragen. Einer schlägt nicht nur Thomas mit dem Holzlöffel, sondern auch die Mutter mit der flachen Hand. Vor dem frommen Vater versteckt sich sogar der liebe Gott ...
Bereits ausgezeichnet mit einem holländischen und einem belgischen Literaturpreis und nun sehr eingängig von Sylke Hachmeister ins Deutsche übertragen, erzählt Guus Kuijer in "Das Buch von allen Dingen" eine wundervolle Geschichte, deren surreale Situationskomik immer wieder das Zwerchfell zu reizen vermag. Einen köstlichen Vorgeschmack darauf erlaubt bereits das Coverbild von Michael Sowa. Hier sieht man Thomas am Ufer einer Gracht ins Wasser blicken und einen Zug tropisch farbenfroher Fische bestaunen, und neben Thomas steht ein wenig ratlos der "Herr Jesus" mit einem Heiligenschein über dem Kopf.
Die Existenz Gottes und womöglich auch sein Verschwinden werden von Thomas ebenso für wahr gehalten, wie seine Zwiegespräche mit "Herrn Jesus", der ihm schon bald anbietet, ihn nur "Jesus" zu rufen. Vor diesem Hintergrund wird denn auch nicht der Glaube an Gott, sondern die tyrannisch bibelfeste Bigotterie des Vaters aufs Korn genommen und am Ende dank einer den Mut von Thomas anstachelnden "Hexe" entlarvt und entwaffnet. Neben der religiösen Ebene wirkt die historische mit dem erst vor sechs Jahren beendeten Krieg und der Frage nach Teilhabe als Widerständler oder Mitläufer hinein. Oder wenn die vom Vater als Hexen diffamierten Frauen damit zu kämpfen haben, von ihren Ehemännern das Tragen von Hosen "erlaubt" zu bekommen. Letzteres wirkt nur noch bizarr - verweist aber zugleich auf die schändlichen "Ehrenmorde", die heutzutage aus kaum weniger bizarren Gründen innerhalb einer Familie begangen werden.
Guus Kuijer gelingt es mit dieser Erzählung, eine so hinreißende wie bezaubernde Hymne auf die Phantasie zu singen, die sich auch den Glauben an Gott nicht madig machen lässt. Denn als Jesus im Himmel von den heftig in Thomas verliebten Engeln gefragt wird, ob er ihn bald zu sich holt, antwortet Jesus lapidar: "Ihr hättet sowieso keine Chance bei ihm", denn: "Keiner von euch hat ein Lederbein, das beim Gehen knirscht".
Weitere Besprechungen zu Werken von Guus Kuijer siehe:
Guus Kuijer: Das Buch von allen Dingen (2006)
Guus Kuijer: Ein himmlischer Platz (2007)