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"Das muß den ersten Seelord doch erschüttern!
Lügt er auch, lügt er auch wie gedruckt!"
Die Parodie auf "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern"wurde, wie das Original, von dem Filmtrio Brausewetter-Sieber-Rühmann
"dargeboten". Der Anlaß war die Ehrung in Anwesenheit Goebbels
von U-Boot-Komandant Prien, dessen U 47-Besatzung im Oktober 1939 das britische
Schlachtschiff Royal Oak versenkte.
"Die Royal Oak bleibt nicht allein,
Wir schicken andre hinterdrein!"
Die Kleinkunst, das Kabarett (über-)lebte unterm Hakenkreuz.
Eine Tatsache, die nur wenige, wie bis vor kurzem noch Wolfgang Neuss,
bestätigen können ... und wollen. Die stillschweigend ausgemachte
Formel DAS KABARETT WAR ZU DER ZEIT TOT, könnte nur ein Zyniker heftig
bejahen, denn da, wo es bis zum bitteren Ende am heftigsten gegen den Wahnsinn
gefochten hatte, lief es ins Leere: Sei es im immerhin (vorerst) Leib und
Leben rettenden, aber suizidgefährdenden Exil, sei es in den KZ's.
Erst ab 1940 gab es z.B in England für einige deutsche KabarettistInnen
wieder die Möglichkeit Satire gegen Nazideutschland einzusetzen. Alle
anderen mußten sich nach der Decke strecken, wollten sie nicht in
die Rüstungsbetriebe, an die Front oder eben ins KZ. Aber nicht jeder
ließ sich wie Weiß Ferdl, Die Drei Rulands oder Friedrich Luft
direkt in die Propagandaüberlegungen von Göbbels miteinbeziehen.
Die Mehrheit wich ins scheinbar Harmlose aus und unterstützte dafür
den propagandistischen Nebenzweig der berühmt-berüchtigten "KdF"(Kraft durch Freude)-Maschinerie.
2 Jahre mußte der Herausgeber Volker Kühn z.T. auch im Ausland
recherchieren.
Die 11 Kapitel von DEUTSCHLANDS ERWACHEN / KABARETT UNTERM HAKENKREUZ
1933-1945 belegen die Vorahnungen, die im Rückblick zum ABGESANG AUF
KOMMENDE ZEITEN wurden, den mutigen WITZ ALS WIDERSTAND, der später
nur noch ZWISCHEN DEN ZEILEN abzulesen war und im DREIMAL KURZ GELACHT
des KdF-"Frohsinns" endete. Für letzteres Kapitel fanden sich
bezeichnenderweise weniger und wenn, dann nur sehr mühsam einige Zeugen.
Dem stand gegenüber, daß Volker Kühn den Überlebenden
des Exils und der KZ's erst seine Vertrauenswürdigkeit beweisen mußte,
denn diese fragten sich zurecht, warum erst so spät ihrer Erfahrungen
gedacht wurde.
Volker Kühn, der seine Satiren u.a. Dieter Hildebrandt und Wolfgang
Neuss in den Mund gelegt hatte, legt mit dieser Anthologie den Finger auf
eine offene Wunde. Zum einen erbringt er den Beweis für etwas, was
eigentlich auch logisch zu schlußfolgern wäre: Auch die KabarettistInnen
waren seinerzeit "nur Menschen". Zum anderen ermöglicht er
den heutigen Medienclowns einen Anschauungsunterricht in Sachen engagiertes,
über den Kuchentellerrand schauendes Kabarett. Abgesehen von der BOMBENSTIMMUNG
"humoriger" KdF-Unter-Halter, die mit 2 Kapiteln zwar nicht repräsentativ
aber ausreichend vertreten sind, wurden hier Texte aus der Versenkung gehoben,
die von zeitloser Brillianz sind.
Wie in den vorangegangenen zwei Bänden stattete V.K. die Kapitel
mit kompetent, liebevoll-engagierten Essays aus und ergänzte die Texte
im Anhang mit z.T. verblüffenden Hintergrundinformationen sowie den
Kurzbiographien der im Buch vertretenen AutorInnen. Die Bibliothek im Allgemeinen,
aber dieser Band ganz besonders verdienen höchste Aufmerksamkeit.
Die diversen Preisvergeber wären gut beraten, es für die engere
Auswahl in Betracht zu ziehen. Oder gilt noch immer die 2. Strophe aus Werner
Finks "Gang durch die Kuhherde" (1934)?
"Wenn sie wollten, könnten sie mich
überrennen,
Doch sie werden nicht dran denken,
Da sie
Quasi
Gar kein Denken kennen.
Außerdem sind sie nicht abzulenken."
Interview und weitere Besprechungen zu Werken von Volker Kühn siehe:
Textenetz: Volker Kühn